Kindesentwicklung: Zwischen Grünzeug und Giftzeug
Kleine Kinder stehen vor einem Rätsel: Die spannenden Gewächse am Rand des Spielplatzes darf man nicht anknabbern; sitzt man am Esstisch, soll man aber plötzlich ganz ähnliche Blätter essen. Grüne Bohnen sind erlaubt, doch nur, wenn sie gekocht sind, sonst werden sie einem von aufgeregten Eltern sogar aus dem Mund gepult. Und während die eine große Frucht einen herrlich süßen Saft produziert, schmeckt die kleinere Variante derselben Frucht so sauer, dass einem die Nase kribbelt. Wie sehr schon 18 Monate alte Kleinkinder darauf fokussiert sind, solche Unterschiede zu erlernen, zeigt eine Studie im Fachjournal »Appetite«.
Das Team um Annie E. Wertz vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin hat dazu mit 40 kleinen Probanden ein Experiment gemacht. Ihre Versuchsteilnehmer sahen einem Erwachsenen dabei zu, wie er die Früchte von einem Fantasiestrauch pflückte und in den Mund steckte, die Früchte eines weiteren Fantasiestrauchs hingegen verschmähte oder gar auf den Boden warf. Anschließend wurden den Kindern dieselben beiden Sträucher in leicht abgewandelter Form präsentiert. Bei welchem davon würden sie zugreifen?
Die Auswertung zeigte: Rund zwei Drittel wählten dieselbe Pflanze wie der Erwachsene zuvor. »Wir konnten mit den Versuchen zeigen, dass bereits 18 Monate alte Kleinkinder nur einmal beobachten müssen, dass ein Erwachsener eine bestimmte Pflanze isst, um zu lernen, dass Pflanzen, die so ähnlich aussehen, ebenfalls essbar sind«, sagt Wertz in einer Mitteilung des MPI.
Attrappen verwendeten die Forscher, um sicherzugehen, dass keines der Kinder die Pflanzen vorher schon einmal gesehen hatte. Das eine Gewächs hatte spitze, schmale Blätter, das andere breite, herzförmige. Als Früchte dienten Trockenpflaumen und Trockenaprikosen. Welche Pflanze die »essbare« und welche die »giftige« war, wechselte von Kind zu Kind.
In weiteren Studien wollen die Wissenschaftler untersuchen, welche Merkmale die kleinen Kinder zur Unterscheidung heranziehen. Dass schon die Jüngsten genau aufpassen, was sich die Älteren in den Mund stecken, sei kein Wunder, so die Forscher. Immerhin gebe es kaum Überlebensrelevanteres, als zu wissen, was essbar ist und was nicht – ein Wissen überdies, das man sich besser nicht durch Versuch und Irrtum aneignet.
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