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Modellansatz: Forschendes Lernen

Junge mit Lupe vor vollgeschriebener Tafel mit Matheformeln

Gudrun war zu Gast an der FU Berlin für ein lange geplantes Gespräch mit Brigitte Lutz-Westphal zum Thema Forschendes Lernen im Mathematikunterricht. Frau Lutz-Westphal ist dort Professorin für Didaktik der Mathematik und in dieser Rolle in die Lehramtsausbildung eingebunden. Ihre Forschung beschäftigt sich mit der Grundlegung einer Theorie zum forschenden Lernen, mit dialogischem Lernen und authentischem sowie inklusivem Mathematikunterricht. Sie ist seit 2010 wissenschaftliche Begleitung des Programms "Mathe.Forscher" der Stiftung Rechnen. Die enge Zusammenarbeit mit der Schulpraxis in diesem Programm hat wichtige Impulse für ihre wissenschaftliche Tätigkeit gegeben.

Was zeichnet nun forschendes Lernen aus? Es geht darum, für Schülerinnen und Schüler die Mathematik als von Fragen getriebene Wissenschaft erlebbar zu machen (im Gegensatz zum Einpauken von fest stehenden Lehrsätzen und Regeln). Das erfolgt z.B. über Beobachtungen in handgreiflichen Experimenten, die für die Erlangung von mathematischen Resultaten aktiv erkundet werden müssen. Das ist gleichzeitig ein authentisches Erleben von Mathematik, wie sie in der Forschung betrieben wird, also eine Begegnung mit der Wissenschaft Mathematik, ihren Methoden und Arbeitsweisen.

Eine Beschreibung der eigenen forschenden Tätigkeit fällt Mathematiker/innen üblicherweise nicht leicht, diese Metaebene ist für das Forschen ja auch nicht relevant. Aber sie wissen, dass sie Fragen und Vermutungen formulieren aus Erfahrung, Gedankenexperimenten oder einem Bauchgefühl heraus und in Gesprächen im Kollegium, im Auswerten von anderen Arbeiten und im Verwerfen von Hypothesen Stück für Stück neues Wissen finden. Eine derzeit laufende Interviewstudie, die von Prof. Lutz-Westphal betreut wird, soll herausarbeiten, wie man Forschen in der Mathematik präziser charakterisieren kann, um daraus weitere Schlüsse für die authentische didaktische Umsetzung in der Schule zu ziehen

Der Ansatz des forschenden Lernens trägt bereits jetzt die wesentlichen Schritte in die Schule: Anregung zum selbstständigen Fragen, Raum für Erkundungen, offen für fächerübergreifende und vorausgreifende Inhalte, Sichtbarmachen der gefundenen mathematischen Erkenntnisse & kritische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Herangehensweisen und Resultaten. Inzwischen gibt es schon viele erprobte Beispiele für forschendes Lernen, die von Lehrpersonen für den eigenen Unterricht übernommen oder adaptiert werden können (siehe www.matheforscher.de) . In unserem Gespräch gehen wir auf die Frage: Wo bitte ist die Mitte? ein. Für komplexe Gebilde, wie z.B. die Geometrie von Deutschland oder anderen Ländern kann man auf unterschiedliche "Mitten" kommen. Und man findet auch Beispiele, wo die Mitte gar nicht im Innern des Gebietes liegt. Solche Unterrichtsideen helfen Schüler/innen, Mathematik nicht nur als festgefügten Wissenskanon, sondern als kreatives Betätigungsfeld zu erleben, in dem flexibles Denken erforderlich ist.

Wesentlich für einen Mathematikunterricht, der auf diese Weise gestaltet ist, ist eine Kultur, in der das Fragen stellen und Fehler machen möglich sind und ein produktiver Umgang mit Fehlern gepflegt wird. Es hat sich bewährt, die Schülerinnen und Schüler ein Lern- oder Forschertagebuch führen zu lassen (bzw. je nach Vermögen der Lerngruppe, einen mündlichen Austausch anzuregen), um besser zu verstehen, wie die Lernenden denken, wo konkrete Probleme im Verständnis sind, bzw. welche eigenen Ansätze die Kinder entwickeln. Dieser dialogische Ansatz öffnet den Weg zu einem individuellen Austausch zwischen Lehrkräften und Lernenden und öffnet die Perspektive in Richtung inklusiver Lerngruppen.

Ein Unterricht, der Mathematik forschend entwickelt braucht Lehrpersonen mit einem hohen Selbstvertrauen in ihre eigenen mathematischen Fähigkeiten und einer authentischen Begeisterung für das Fach. Damit ergeben sich auch Ziele in der Lehramtsausbildung:

  • Erlangen fachlicher und fachmethodischer Sicherheit,
  • das Kennenlernen moderner Mathematik und aktueller Forschungsthemen,
  • eine tiefe fachdidaktische Durchdringung von mathematischen Themen,
  • und somit übergreifend: die Stärkung des fachlichen Selbstbewusstseins.

Nach ihrem Abitur 1990 studierte Brigitte Lutz-Westphal an der Hochschule der Künste und der freien Universität Berlin Schulmusik, Violine und Mathematik und hatte dabei 1994-95 auch einen Studienaufenthalt in Paris als Stipendiatin des Briand-Stresemann Programms. Auf ihr erstes Staatsexamen in Musik und Mathematik folgte ihr Referendariat am Karl-von-Frisch-Gymnasium in Dußlingen und am Wildermuth-Gymnasium in Tübingen. Nach dem zweiten Staatsexamen für die Laufbahn des höheren Schuldienstes an Gymnasium in Musik und Mathematik, wurde sie in Berlin als Musikpädagogin und Nachhilfelehrerin selbstständig tätig und begann mit ihren Arbeiten zum Projekt "Diskrete Mathematik für die Schule". Ab 2002 wurde sie als wissenschaftliche Angestellte am Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik durch die Volkswagenstiftung für das Projekt "Diskrete Mathematik in der Schule" gefördert. Ab 2004 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin unter anderem im Projekt "Visualisierung von Algorithmen" des DFG-Forschungszentrums MATHEON tätig. 2006 promovierte sie an der TU Berlin mit ihrer Dissertation zum Thema "Kombinatorische Optimierung – Inhalte und Methoden für einen authentischen Mathematikunterricht" bei Prof. Martin Gröschel, und trat eine Vertretungsstelle einer Juniorprofessur für Mathematikdidaktik an der TU Berlin und wurde Mitglied der "Junior Faculty" der Berlin Mathematical School (BMS). 2008 wurde sie auf die W2-Professur für Mathematik und Didaktik der Hochschule Vechta berufen, und ist seit 2009 als W2 Professorin für Didaktik der Mathematik der Freien Universität Berlin. Seit 2009 ist die Mitherausgeberin der "Mitteilungen der Deutschen Mathematiker Vereinigung" und ist seit 2017 Mitglied des Beirats der Stiftung Rechnen.


Literatur und weiterführende Informationen



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