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Modellansatz: Fußgängermodelle

Links Beton, rechts Beton, unten Beton und irgendein Architekt hat dafür bestimmt mal nen Preis bekommen.

Dr. Tobias Kretz arbeitet in der Firma PTV Group in Karlsruhe an der Modellierung und Simulation von Fußgängerströmen. Er studierte Physik an der Universität Karlsruhe und behandelte in seiner Diplomarbeit Teilchen-Zerfallsprozesse. Anschließend führte ihn die Suche nach interessanten Anwendungen physikalischer Konzepte zur Arbeitsgruppe Physik von Transport und Verkehr an der Universität Duisburg-Essen. Dort promovierte er im Themenfeld der Fußgängersimulation bei Prof. Schreckenberg.

Damit war er genau der Experte, den die ptv suchte, als sie sich entschied, die Verkehrssimulations-Software im Haus um den Aspekt der Fußgängersimulation zu erweitern. Eine erste für Karlsruhe interessante Anwendung der neuen Software VISWALK war die Simulation der Großveranstaltung Das Fest hier in Karlsruhe.

Die Simulation von Fußgängerströmen ist eine noch junge Disziplin. Sie entwickelte sich zunächst für Evakuierungs- und Notfall-Szenarien. Heute dient die Fußgängersimulationssoftware beispielsweise der Planung in großen Bahnhöfen. Denn hängt die Frage, ob man einen Anschlußzug kann, nicht auch von der Problematik ab, dass man dabei von anderen Fahrgästen behindert wird? Außerdem ist die Untersuchung der von Effizienz von Laufwegen sehr hilfreich in der Planung von Bauvorhaben.

In der Fußgängersimulation werden verschiedene Methoden aus der Mathematik und Physik benutzt. In der Arbeitsgruppe von Herrn Schreckenberg waren es vor allem Zellularautomaten. Im nun vorhandenen Modul VISWALK wurde bei der ptv vor allem auf das Social force Modell gesetzt, das auf einem Newtonschen Ansatz (also dem Zusammenhang von Kraft und Beschleunigung) beruht und auf eine Beschreibung durch Differentialgleichungen für die einzelnen Fußgänger führt. Dieses System muss numerisch gelöst werden. Die schrittweise Lösung entspricht dabei der zeitlichen Entwicklung der Bewegung.

Die Grundidee beim Social Force Modell ist, dass man sich vorstellt, dass die am Fußgänger angreifende Kräfte seine Beschleunigung (inklusive der Richtung) verändern und damit seine Bewegung bestimmen. Das einfachste Modell ist der Wunsch das Ziel zu erreichen (driving force), denn es genügt dafür eine zum gewünschten Ziel ziehende starke Kraft. Dabei muss man aber anderen Fußgängern und Hindernissen ausweichen. Das Ausweichen kann man aber leider nicht in genau ein Modell (also genau ein erwartetes Verhalten) übersetzen; es gibt dazu einfach zu viele Einflussfaktoren. Physikalisch werden sie daher als abstoßende Kräfte im Nahfeld von anderen Fußgängern und Hindernissen modelliert. Wichtige Fragen, die im Algorithmus zu berücksichtigen sind, wären beispielsweise, wie nah geht ein typischer Fußgänger typischerweise an anderen Fußgängern vorbei geht, und welche Umwege typischerweise am attraktivsten erscheinen.

Aus eigener Erfahrung kennt man den inneren Kampf, wie man mit Gruppen, die sozusagen als ein weiches Hindernis im Weg stehen, umgeht. Hindurchdrängeln vermeidet man oft. Das muss auch der Algorithmus so tun, wenn er menschliches Verhalten nachbilden soll. So kann man hier die Dichte der Gruppe in eine "Härte" des Hindernisses übersetzen. Je nachdem wie dicht gepackt der Raum ist, werden solche Entscheidungen aber auch unterschiedlich ausfallen.

Berechnet wird natürlich stets die Bewegung des Schwerpunkts des Fußgängers. Für die visuelle Umsetzung im Programm wird das entsprechend graphisch aufbereitet, was natürlich auch einen gewissen Rechenaufwand verursacht. Das Modell selbst ist zeitkontinuierlich und so wird die Genauigkeit durch die für das numerische Verfahren gewählte Zeitschrittweite bestimmt. Etwa 20.000 Personen können zur Zeit in Echtzeit simuliert werden.

Leider ist es im Programm bisher nahezu unmöglich zu berücksichtigen, wie sich Menschen in zusammen gehörenden Zweier- oder Dreier-Gruppen bewegen. Zum Glück ist das beispielsweise in der Simulation von Berufspendlern auf einem Bahnhof ein vernachlässigbares Phänomen. Ein weiterer Aspekt ist, dass die Ergebnisse der intern komplexen Simulation sich schließlich für den Verkehrsplaner in wenig komplexen Zahlenwerten spiegeln (wie in Dichten). Dabei muss auch eine Balance gefunden werden zwischen Komplexität des Modells und der Bedienbarkeit durch einen Verkehrsplaner im Arbeitsalltag. Zu einfache Modelle – wie solche, die nur Dichten von Personen berücksichtigen (sogenannte Makromodelle) – können eventuell nicht mehr wiedergeben, dass es in Korridoren gegenläufige Bewegungen gibt, was jedoch ein zentraler Aspekt der tatsächlichen Fußgängerbewegung ist.

Daten zur Kalibrierung dieser Modelle sind nicht so einfach zu erheben. Eine Möglichkeit ist die Auswertung von Videos (z.B. von Überwachungskameras). Dabei weiß man natürlich nichts über den Hintergrund der beobachteten Personen (Alter, Größe, Dringlichkeit des Ortswechsels). In Laborexperimenten sind diese Informationen verfügbar, aber es bleibt immer eine künstliche Umgebung, die die Realitäts-Nähe der Ergebnisse potentiell gefährdet. Ein noch ganz neuer dritter Weg ist in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Hanebeck am KIT die Beobachtung einer jeweils einzelnen echten Person in einer virtueller Umgebung am Computer.

Wir unterhielten uns ausführlich über die Begleitung des Umbaus eines Straßenabschnitts in Straßburg. In dieser Stadt wurde ein grundlegender Plan piéton beschlossen, durch den sich in den Jahren 2011-2020 die Situation für alle Verkehrsteilnehmer in der Innenstadt verändern soll. Die ptv hat konkret die Umgestaltung der Brücke Pont Kuss durch Simulationen begleitet. Da die Brücke auf dem direkten Weg vom Hauptbahnhof in die historische Innenstadt liegt, ist das Fußgängeraufkommen dort besonders hoch und wurde zur Untermauerung der Notwendigkeit eines Umbaus sorgfältig gezählt. Obwohl aus den Daten klar hervorging, dass die Verteilung des öffentlichen Raums hier dringend geändert werden sollte (mehr Platz für Fußgänger, weniger Spuren für PKW) konnte darüber hinaus die Simulation zeigen, dass durch die Einengung der Fahrspuren kein zu großer Nachteil für den Autoverkehr entsteht.

In der städtischen Verkehrsplanung können Schwerpunkte (wie so ein Fußgängerplan in Straßburg) häufig durch Personen in der Verwaltung stark beeinflusst werden. Die faire Verteilung von öffentlichem Raum wird uns aber in der Zukunft noch sehr stark beschäftigen. Hier ist auch die Frage der Behandlung von Radfahrern im Stadtverkehr ein Modellierungs-Problem mit vielen offenen Fragen.

Die Verwendung von Simulationen in kritischen bzw. Gefahren-Situationen ist auch nicht trivial. So hat es sich als unrealistisch erwiesen, im Zeitraffer vorausberechnete Situationen als Hilfestellung für Entscheidungen zu benutzen. Man braucht in solchen Situationen Ergebnisse, die in wenigen Augenblicken gute Ratschläge geben, wie Fußgängerströme geleitet werden sollten. Das geht zum Glück häufig über Makromodelle, die nur die Dichten beachten. Dies sind einfach genug analysierbare und dabei aussagekräftige Größen in einer Krisensituation.

Neue Aufgaben für die Verbesserung von Fußgänger-Simulationen stellen sich jedes Jahr. Ein wichtiger Aspekt ist im Moment, dass die Software-Umsetzung sehr viel stärker parallelisiert werden muss, um leistungsstärker werden zu können.

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