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Modellansatz: Schulwegoptimierung

Zwei Jungen auf dem Weg von der Schule nach Hause

Sven Müller ist Professor für Verkehrsbetriebswirtschaft im Studiengang Verkehrssystemmanagement an der HTW hier in Karlsruhe.

Im Rahmen seiner Promotion an der TU Dresden in der Gruppe von Knut Haase begann er der Frage nachzugehen, welche Faktoren die Verkehrsmittelwahl für den Schulweg beeinflussen. Hintergrund dieser Frage war, dass zu der Zeit in Dresden die Schließung von Schulstandorten heiß diskutiert wurde. Die Notwendigkeit von Schulschließungen war dabei nicht umstritten, jedoch welche konkrete Variante die für alle beste Lösung darstellen würde. Hier war die Diskussion emotional stark aufgeladen, d.h. ein Modell, das bei der Planung des Schulnetzes für objektive Informationen sorgt, wäre ganz besonders hilfreich. Am besten mit klaren Empfehlungen für optimale Lösungen in Bezug auf Schulwege und deren Kosten.

Der naheliegende und auch herkömmliche Indikator für so ein Modell ist eine Distanzminimierung. Dadurch lassen sich objektive Aussagen zu minimalen Transportkosten für die Schüler ermitteln. Jedoch stellte sich schnell heraus, dass verlässliche Aussagen dazu fehlten, welche Verkehrsmittel die Schüler anteilig wählen und wieso. Ebenso welche Schulen die Schüler selbst wählen würden und wieso. Deshalb war ein wichtiger Ausgangspunkt für das Forschungsthema eine sehr groß angelegte Schüler-Befragung, die von den Studierenden im Rahmen eines Seminares geplant und durchgeführt wurde. Durch das große Engagement war die Stichprobe schließlich sehr groß. Es wurden dabei Fragebögen in fast allen Schulen verteilt und die Ergebnisse in einer selbst konzipierten Datenbank gesammelt – gut aufbereitet für eine anschließende Auswertung und Optimierung.

So war es möglich, aus diesen Daten Prognosen zur Verkehrsmittelwahl in Abhängigkeit von Distanz und Verkehrsmitteloptionen zu erstellen und über verschiedene Schließungsszenarien eine optimale Verteilung der Schulen (in Bezug auf Kosten für die Stadt) zu ermitteln.

All das floß auch in die Promotion von Sven Müller ein. Als wichtiges Problem für die mathematische Behandlung der Optimierung erwies sich, dass die Optimierungslösung auf die Daten zurückwirkt. Das führt auf ein dynamisches Problem, das mit herkömmlichen Methoden nicht behandelt werden kann. Auch bei der ÖPNV-Planung von optimierten Liniennetzen tritt das Problem auf: Kürzere Reisezeiten und mehr Direktverbindungen führen z.B. zu einem höheren Fahrgastaufkommen. Mathematisch ausgedrückt heißt das die Nebenbedingungen werden dynamisch und das Problem wird in der Regel nichtlinear. Betriebliche Problemstellungen haben oft ein ähnliches Problem, d.h. die Daten bleiben nicht fix sondern sind abhängig von der gefundenen Lösung.

Ein wichtiges Teilergebnis des Forschungsvorhabens von Sven Müller ist eine exakte lineare Reformulierung für das ursprünglich nicht-lineare Optimierungsmodell.

Ein weiteres grundsätzliches Problem ist, dass die Nutzenfunktion hinreichend genau beobachtet werden müsste. Ideal wäre es, wenn nur noch weißes Rauschen im Störterm berücksichtigt werden muss, d.h. alle zufälligen Anteile sind wirklich nur zufällig und unverbunden mit den beobachteten Daten. Das ist in der Realität leider nicht möglich und so führen nicht beobachtete Anteile zu Kovarianzen im Modell, die nicht null sind. Anders ausgedrückt, ist der stochastische Anteil nicht nur weißes Rauschen.

Nebenbei gewann er noch einige andere Erkenntnisse. Z.B. ist es für die Prognose der Fahrradnutzung nicht ausreichend, die Distanz als Maß zu nehmen, da es bergauf- bzw. bergab gehen kann und das für die Entscheidung mindestens ebenso wichtig ist wie die Entfernung. Dieser Frage geht er zur Zeit auch mit seinen Studierenden im Studiengang Verkehrssystemmanagement an der HTW nach.

Zwei weitere Themen, an denen Sven Müller zur Zeit arbeitet, weil sich gute Anknüpfungspunkte aus den eben geschilderten neuen Optimierungsstrategien bieten, sind z.B. die Versorgungsplanung in der Medizin und die Planung der Pilgerströme in Mekka.

Genauer gesagt geht es bei der Versorgungsplanung um Vorsorgeprogramme (Prävention). Durch eine hohe Attraktivität des Angebots soll erreicht werden, das möglichst viele Patienten freiwillig teilnehmen. Auch hier ist die gute Erreichbarkeit der Ärzte wichtig, aber auch ihre Attraktivität. Es gilt abzuwägen, wie viele Ärzte an dem Präventionsprogramm mit welcher Kapazität teilnehmen sollen. Einerseits aus Kostengründen natürlich möglichst wenige. Aber andererseits ist gerade die kurze Wartezeit auf einen Termin ein Garant dafür, dass der Termin auch wahrgenommen wird. Somit führt die Optimierung wieder auf ein dynamisches Problem. Viele Standorte führen zu kurzen Wegen und weniger "no shows". Aber viele Untersuchungen bei einem Arzt stärken seine Kompetenz – verlängern aber die zu erwartende Wartezeit. Leider führt das außerdem auf ein nicht konvexes Optimierungsproblem, d.h. die Existenz von Optima folgt nicht mit traditionellen Methoden (bei denen ist Konvexität eine zentrale Voraussetzung).

In Mekka sind während einer reicht kurzen Zeit etwa 2-5 Millionen Pilger unterwegs, um Rituale durchzuführen wie die Umkreisung der Kaaba und die symbolische Steinigung des Teufels an drei Säulen. Um das Risiko von Zwischenfällen, bei denen in der Vergangenheit schon hunderte von Todesopfern zu beklagen waren, zu senken, wird das Verhalten der Pilger modelliert in Bezug auf Geschwindigkeit und Dichte. Anschließend werden rund 2 Millionen Pilger, Routen zugewiesen, die so berechnet sind, dass alle Routen möglichst kreuzungsfrei sind. Weiterhin erhalten die Pilger fest zugewiesene Steinigungszeiten, so dass die erwarteten Dichten möglichst unkritisch sind. Der Einfluss von bestimmten Fehlern, wie z.B. falsch gesetzte Zäune oder falsch interpretierte Anweisungen kann dabei nicht völlig ausgeschlossen werden und wird als Risikofaktor in der Auslastung der Routen berücksichtigt.

Die Studierenden im Studiengang Verkehrssystemmanagement an der Hochschule Karlsruhe – Wirtschaft und Technik sind hier an forderster Forschungsfront dabei. Z.B. mit Experimenten zu Fußgänger-Verhalten. Denn auch hier ist eine gute Datenlage der Schlüssel zum Erfolg.


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