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Sternengeschichten: Der Meteorit Neuschwanstein

Im April 2002 wäre Schloss Neuschwanstein fast von einem Meteorit getroffen worden. Aber das Schloss steht noch und die Wissenschaft hat sehr viel vom Neuschwanstein-Meteoriten gelernt. Was genau, erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Meteorit im Anflug
Sternengeschichten
Der Meteorit Neuschwanstein
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    Bayrisches Bombardement aus dem All

    Sternengeschichten Folge 643: Der Meteorit Neuschwanstein

    Das Schloss Neuschwanstein in Bayern ist eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten Deutschlands; über eine Million Menschen pro Jahr schauen sich das von König Ludwig II. gebaute »Märchenschloss«, wie es auch oft genannt wird, an – was den Tourismus freut, die Leute, die direkt dort im Ostallgäu leben aber nicht ganz so sehr. Aber das hier ist ja kein Tourismus- oder Tourismuskritik-Podcast, sondern einer über Astronomie. Und deswegen geht es nicht um das Schloss, sondern um den Meteoriten, der das Schloss fast zerstört hätte.

    Ok, das war jetzt ein wenig übertrieben. Aber es ist nicht völlig falsch. Am 6. April 2002 ist ein Meteorit aus dem Weltall in der Nähe von Schloss Neuschwanstein aufgeschlagen und es wäre nicht völlig unmöglich gewesen, dass er das Schloss getroffen hätte. Aber fangen wir am besten im Weltraum an. Von dort stammt der Brocken und er war an diesem Tag auf Kollisionskurs mit der Erde. Gegen halb elf Uhr Abends war er weit genug in die Atmosphäre eingedrungen, um zu leuchten zu beginnen. Oder korrekterweise gesagt: Nicht der Meteorit hat geleuchtet. Aber weil er mit fast 21 Kilometer pro Sekunde in die Atmosphäre eingetreten ist, hat er bei seinem rasanten Flug durch die Luftschichten die Luftmoleküle angeregt und zum Leuchten gebracht. Die Lichtspur, die er dann über den Himmel gezogen hat, hat in Innsbruck begonnen, da war der Meteorit noch 85 Kilometer über dem Boden. Der Brocken hat da vermutlich ein Gewicht von 300 Kilogramm gehabt. Der Meteorit ist weiter von Tirol in Richtung Bayern geflogen, über Garmisch-Partenkirchen war er nur noch 21 Kilometer vom Boden entfernt und hat heller als der Vollmond geleuchtet. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt hat er auch die Luftreibung nicht mehr ausgehalten und ist in kleinere Bruchstücke zerplatzt. Ab da befand sich der Meteorit in der sogenannten »Dunkelflugphase«, wo er sich durch die Atmosphäre bewegt, ohne die Luft zum Leuchten zu bringen. Dafür waren die Brocken jetzt auch zu langsam, sie waren nur noch wenig mehr als 2 Kilometer pro Sekunde drauf. Ein paar Sekunden später waren sie auch langsamer als die Schallgeschwindigkeit und sind nur noch im freien Fall zum Boden gefallen. Dort, in der Nähe von Schloss Neuschwanstein, sind sie dann mit circa 250 km/h aufgeschlagen. Und in dieser letzten Phase des Falls, wenn die Brocken die untersten Schichten der Atmosphäre durchqueren, spielt auch der Wind eine Rolle. Der war an diesem Abend nicht schwach und hat genau von Neuschwanstein kommend in Richtung Österreich geweht – also dem Meteorit entgegen. Das bedeutet, dass die fallenden Brocken am Ende ihres Flugs durch den Wind entgegen ihrer Flugrichtung abgelenkt worden sind. Ansonsten wären sie noch näher an das Schloss Neuschwanstein heran geflogen und auch wenn es enorm unwahrscheinlich ist, wäre es nicht unmöglich gewesen, dass sie das berühmte Bauwerk getroffen hätten.

    Haben sie aber nicht! Und das haben auch jede Menge Menschen gesehen. Denn die extrem helle Lichterscheinung ist natürlich nicht unbeobachtet geblieben. Überall in Bayern haben Leute bei der Polizei und bei den Zeitungen angerufen, um das unerwartete Licht am Himmel zu melden. Und nicht nur Menschen haben den Fall des Meteoriten beobachtet, sondern auch die wissenschaftlichen Kameras des Europäischen Feuerkugelnetzwerks. Das ist genau für solche Situationen da: An unterschiedlichen Stationen überall in Europa beobachten Kameras Nacht für Nacht den gesamten Himmel; auf der Suche nach den Leuchtspuren von Meteoriten. Wenn mehrere Stationen die selbe Leuchtspur aufzeichnen, kann man daraus dann die genaue Flugbahn rekonstruieren. Das ist einerseits wichtig, wenn man wissen möchte, wo eventuelle Bruchstücke auf der Erde gelandet sind. Und andereseits relevant, weil man aus der Flugbahn auch rekonstruieren kann, auf welcher Bahn sich das Objekt vorher um die Sonne bewegt hat.

    Aber bleiben wir vorerst noch auf der Erde. Feuerkugelnetz-Stationen in Deutschland, der Tschechischen Republik und in Österreich konnten den Fall beobachten und so herausfinden, dass Bruchstücke irgendwo im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Österreich, bei Füssen und Garmisch-Partenkirchen gelandet sein müssten. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat sich dann auch gleich auf die Suche gemacht. Beziehungsweise nicht ganz gleich, denn im April ist es in den bayrischen Bergen noch kühl und überall lag Schnee. Erst im Mai waren die Bedingungen geeignet für eine Suche, die aber dann ohne Erfolg aufgegeben werden musste.

    Nicht aufgegeben haben Nadin Bukow und Thomas Grau. Für das Paar aus Brandenburg war die Astronomie nur ein Hobby, die Suche nach dem Meteorit haben sie aber durchaus ernst genommen und am 14. Juli 2002 waren sie erfolgreich. Knapp vor der österreichischen Grenze, an der Westflanke des Ochsenälpeleskopfs haben sie ein 1,7 Kilogramm schweres Fragment des Meteoriten entdeckt. Ein Stückchen weiter nördlich sind am 27. Mai 2003 dann zwei weitere Hobby-Meteoritensucher fündig geworden. Ihr Fragment war 1,6 Kilogramm schwer und ist ein paar Zentimeter tief im Waldboden gesteckt. Das dritte und größte Fundstück ist dann am 29. Juni 2003 entdeckt worden. Der deutsche Physiker Karl Wimmer hatte eigenen Computersimulationen durchgeführt um den wahrscheinlichsten Ort zu ermitteln und ist dann schließlich auf der österreichischen Seite der Grenze fündig geworden. Dieses Fragment hat 2,8 Kilogramm. Mehr Stücke des Meteoriten hat man nicht mehr entdeckt.

    Und was hat man mit diesen Brocken aus dem Weltall gemacht? Zuerst einmal darum gestritten. Denn wem gehört so ein Meteorit, wenn man ihn einfach so am Boden findet? Ich will jetzt gar nicht damit anfangen, die ganzen Gesetze im Detail zu erklären, vor allem weil sich da ja auch immer wieder etwas ändert. Aber prinzipiell ist es einmal relevant, ob so ein Meteorit auf öffentlich zugänglichen oder privaten Geländen gefunden wird. Bei Neuschwanstein ist der Fund auf öffentlichen Gelände passiert und deswegen gehört der Meteorit dann nicht dem Staat allein, sondern auch zum Teil der Person, die ihn gefunden hat. Es sei denn, es handelt sich um einen Schatz, denn dann hat der Staat Anspruch darauf. Im Fall des ersten Fragments hat Bayern die Sache aber einfach durch Geld gelöst. Nadin Bukow und Thomas Grau haben Geld bekommen und Bayern den Meteoriten, der seitdem im Rieskrater-Museum in Nördlingen besichtigt werden kann. Und ein Meteorit reicht eigentlich aus, hat sich Bayern wohl gedacht, denn als dann das zweite Fragment gefunden worden ist, wollte der Freistaat kein Geld mehr dafür ausgeben. Die beiden Finder wollten ihr Stück Meteorit aber auch nicht einfach so hergeben. Also ist er dann tatsächlich in zwei Hälften geschnitten worden. Eine Hälfte ist an den Staat gegangen und die wird seitdem in der Mineralogischen Staatssammlung München erforscht. Die andere Hälfte haben die beiden Finder in noch kleinere Stücke geteilt und die dann an diverse Museen und private Sammlungen verkauft.

    Richtig spannend ist es dann beim größten Fragment des Meteoriten geworden. Der ist ja in Österreich gelandet, auf dem Gebiet der Gemeinde Reutte. Und die wollte das Ding auch haben! Der Finder wollte es aber nicht hergeben. Also ist die Sache vor Gericht gelandet. Das musste entscheiden, ob es sich bei dem Meteorit um einen Schatz, einen Zuwachs oder einen herrenlosen Gegenstand handelt. Ein Schatz ist es nicht, hat der Richter dann gesagt, denn ein Schatz muss längere Zeit im Verborgenen liegen, was der Meteorit nicht getan hat. Es ist auch kein Zuwachs, also sowas wie die Früchte eines Baums oder die Bäume eines Waldes, an dem die Gemeinde dann automatisch Anspruch hat. Der Meteorit ist, hat das Gericht entschieden, ein herrenloser Gegenstand, der der Person gehört, die sie findet. Das hat die Gemeinde Reutte nicht so toll gefunden, hat sich aber am Ende damit abfinden müssen, nur eine Ausgleichszahlung zu bekommen. Das größte Fragment des Meteoriten gehört weiterhin Karl Wimmer, dem Finder.

    Aber zumindest aus den Stücken, die der Wissenschaft zugänglich sind, hat man ein paar sehr interessante Sachen herausfinden können. Aus der Analyse der Flugbahn konnte man berechnen, auf welcher Bahn sich das Objekt zuvor um die Sonne bewegen hat müssen. Und diese Bahn ist der von zwei anderen Meteoriten ziemlich ähnlich. Einerseit dem Přibram-Meteoriten, der am 7. April 1959 in der damaligen Tschechoslowakei gefallen ist. Und andereseits dem Benešov-Meteorit, der am 7. Mai 1991 über Tschechien niedergegangen ist. Es liegt also nahe, dass alle drei Objekte Teil des selben Asteroids gewesen sind. Aber die chemischen Analysen zeigen ein anderes Bild. Neuschwanstein ist ein Entstatit-Chondrit, eine sehr seltene Gruppe von Gesteinsmeteoriten. Přibram dagegen ist ein gewöhnlicher Chondrit, ein stinknormaler Gesteinsmeteorit quasi. Und bei Benešov ist die Sache unklar, da hat man unterschiedliche Fragmente gefunden. Interessant ist auch das »Bestrahlungsalter«. Ich gehe jetzt nicht auf die Details ein, aber man kann die Radioaktivität der diversen chemischen Elemente des Meteoriten messen und daraus bestimmen, wie lange der Brocken durchs All geflogen ist und dabei der kosmischen Strahlung ausgesetzt war. Bei Neuschwanstein waren das 46 Millionen Jahre, bei Přibram 17 Millionen Jahre und bei Benešov hat man keine klaren Daten bekommen können.

    Also haben die drei doch nichts miteinander zu tun? Vielleicht doch – denn im Jahr 2022 hat man sich das noch einmal genauer angesehen. In der Zwischenzeit ist nämlich der Asteroid 2008 TC3 auf der Erde eingeschlagen, ich hab in Folge 427 der Sternengeschichten ausführlich davon erzählt. Das war der erste Fall, wo man die Bahn des Asteroid schon kannte, bevor man wusste, dass er einschlagen wird und wo man dann auch tatsächlich Meteoriten finden konnte. Und man hat bei ihrer Analyse festgestellt, dass die Fragmente tatsächlich unterschiedliche chemische Zusammensetzungen und ein unterschiedliches Bestrahlungsalter hatten. Das passt zum Bild der »fliegenden Geröllhaufen«: Wir gehen heute davon aus, dass viele Asteroiden keine massiven Gesteinsbrocken sind, sondern eher lose Ansammlungen aus großen und kleinen Fragmenten. Entstanden sind sie vielleicht durch Kollisionen von anderen Asteroiden, wo sich die Bruchstücke dann vermischt und den Geröllhaufen gebildet haben. Unterschiedliche Teile davon waren unterschiedlich lange der kosmischen Strahlung ausgesetzt und sind dann zu unterschiedlichen Zeitpunkten abgebrochen, bevor sie sich auf den Weg zur Erde gemacht haben.

    Wir haben sogar ein paar Kandidaten für den Geröllhaufen, vom dem Neuschwanstein & Co stammen könnten. Vielleicht ist es der im Jahr 1987 entdeckte Asteroid Mithra. Seine Umlaufbahn passt zu den Meteoriten und wir wissen zwar noch nicht viel über den circa 1,8 Kilometer großen Brocken, aber wir wissen, dass er der Erde immer wieder mal vergleichsweise nahe kommt – und dass es sich höchstwahrscheinlich um einen contact binary handelt. Also einen Asteroid, der eigentlich aus zwei Teilen besteht, die aber nur lose Kontakt haben und nur schwach durch Gravitation aneinander gebunden sind. Also genau so eine Art fliegender Geröllhaufen, wie er zu Neuschwanstein, Přibram und Benešov passen würde.

    Mit letzter Sicherheit werden wir wohl erst rausfinden, wo Neuschwanstein her kommt, wenn wir eine Raumsonde zu Mithra schicken, und vor Ort nachsehen. Bis dahin müssen wir die Fragmente hier auf der Erde erforschen. Und wer mal in der Nähe von Nördlingen in Bayern vorbei kommt, kann gerne dort im Rieskrater-Museum vorbei schauen. Da gibt es nicht nur jede Menge interessante Infos über Asteroiden und Asteroideneinschläge, sondern auch das zuerst gefundene Fragment des Neuschwanstein-Meteoriten zu besichtigen. Das ist auch viel spannender als ein Schloss aus dem 19. Jahrhundert und man muss sich das Museum auch nicht mit so absurd vielen Touristen teilen…

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