Sternengeschichten: Der Perseushaufen
Könnten wir mit unseren Augen Röntgenstrahlung sehen, dann würden wir eine Überraschung erleben, wenn wir in der Nacht zum Himmel schauen. Ok, wenn wir Röntgenaugen hätten, gäbe es vermutlich jede Menge Überraschungen, aber beim Blick zum Nachthimmel, dorthin wo sich das Sternbild Perseus befindet, würden wir auf einmal eine enorm große Lichtquelle sehen. Viele Male größer als der Vollmond würde dort ein Objekt hell leuchten, das wir ansonsten ohne Teleskop gar nicht sehen könnten. Diese helle Quelle an Röntgenlicht ist der Perseushaufen, 240 Millionen Lichtjahre weit weg und eines der spektakulärsten und spannendesten Objekte am Himmel.
Wir können aber ja leider keine Röntgenstrahlung sehen, also müssen wir uns der Sache erst einmal anders nähern. Das Sternbild Perseus können wir im Herbst und Winter gut bei uns in Mitteleuropa am Himmel sehen, zwischen Auriga, dem Fuhrmann und Andromeda. Es ist die Gegend am Himmel, aus der die Sternschnuppen der Perseiden zu kommen scheinen, aber das ist erstens eine andere Geschichte und zweitens sind die Perseiden nur im August zu sehen. Uns interessiert aber auch nicht das Sternbild, zumindest heute nicht. Wir schauen auf die Galaxien, die sich dort befinden. Ich habe ja schon oft erzählt, dass Galaxien wie unsere Milchstraße nicht einfach wahllos im Universum verteilt sind. Sie bilden Gruppen, in denen die Galaxien durch ihre wechselseitige Gravitationskraft zusammen gehalten werden. Es gibt jede Menge solcher Galaxienhaufen und der Perseushaufen ist ein wirkliches Prachtexemplar.
Er besteht aus ein paar tausend einzelnen Galaxien; vor allem alten elliptischen Galaxien; also Galaxien, die sich bilden, wenn zum Beispiel zwei Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße miteinander verschmelzen. Die Gesamtmasse des Haufens liegt bei 650 Billionen Sonnenmassen. Das ist ungefähr 600 Mal so viel wie die Masse unserer Milchstraße. Es ist enorm viel und der Perseushaufen ist eines der massereichsten Objekte in unserer kosmischen Nachbarschaft.
Im Zentrum des Haufens finden wir die Galaxie mit der Bezeichnung NGC 1275. Die hat schon der britische Astronom Wilhelm Herschel entdeckt, im Jahr 1786 – aber damals war natürlich noch nicht klar, dass es sich um eine ferne Galaxie handelt oder obe irgendein anderes nebeliges Objekt ist, das uns viel näher ist. Damals wusste man noch nicht ob unsere eigene Galaxie alles ist, was im Universum existiert oder nur eine von vielen. Man konnte die Abstände zu den Objekten nicht messen und die Teleskope waren nicht gut genug, um zu zeigen, dass die Nebel tatsächlich aus Sternen bestehen. NGC 1275 ist auf jeden Fall eine Galaxie und keine kleine! Sie hat einen Durchmesser von 160 000 Lichtjahren, ist also ungefähr so groß wie die Milchstraße. Sonst gibt es aber nicht allzu viele Gemeinsamkeiten. Während die Milchstraße eine Spiralgalaxie ist, handelt es sich bei NGC 1275 um eine sogenannte »cD-Galaxie«. Das hat nichts mit CDs zu tun, auf denen Musik gespeichert ist. Das »D« steht für »diffus« und das »c« ist ein Zusatz, der – aus historischen Gründen – bedeutet, dass es sich um eine sehr große Galaxie handelt. Eine große, diffuse Galaxie also; oder genauer gesagt: Eine sehr große elliptische Galaxie, ohne Strukturen wie Spiralarme oder etwas in der Art. Obwohl man bei NGC 1275 schon »etwas in der Art« findet, nämlich sehr starke Radiostrahlung. Die kommt vom supermassereichen schwarzen Loch im Zentrum der Galaxie und so wie die Galaxie selbst ist auch das ein ordentlicher Brocken. Es hat zwei Milliarden mal so viel Masse wie die Sonne – zum Vergleich: Das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße hat »nur« 4 Millionen mal so viel Masse wie die Sonne. Und im Gegensatz zu unserem eigenen schwarzen Loch ist das bei NGC 1275 auch noch aktiv. Das heißt, dass dort jede Menge Masse in der Umgebung des Lochs existiert, die dort herumwirbelt und durch die starken Gravitationskräfte und Magnetfelder zum Teil auch in langen Bündeln und mit enormer Geschwindigkeit ins All hinaus geschleudert wird. Solche Jets kennen wir auch von anderen aktiven Galaxien, aber bei NGC 1275 konnten wir sogar zusehen, wie er entstanden ist.
Diese Jets sind auch ein Grund dafür, dass der Perseushaufen mit unseren Röntgenaugen so beeindruckend aussehen würde. Denn in so einem Galaxienhaufen sind ja nicht nur Galaxien. Zwischen den Galaxien eines Haufen ist nicht Nichts. Ok, es ist auch nicht viel dort, aber eben nicht nichts. Dort befindet sich das Intraclustermedium, von dem ich in Folge 579 schon ausführlich gesprochen habe. Also, vereinfacht gesagt, ein sehr dünnes Gas. Das ist Material, das von den Sternen der Galaxien und den Jets in der Umgebung der supermassereichen zentralen schwarzen Löcher hinaus geschleudert worden ist. Und die Strahlung der Jets ist es auch, die dieses Material enorm aufheizt; also wirklich enorm. Man schätzt, dass das Gas eine Temperatur von bis zu 100 Millionen Grad hat. Das ist so viel, dass es Röntgenstrahlung abgibt und auch wenn nur wenig Gas zwischen den Galaxien ist, ist es doch genug und vor allem genug Röntgenstrahlung, dass der ganze Perseushaufen enorm stark leuchtet.
In Wahrheit sind die Vorgänge dort noch viel komplizierter. Wenn man sich die Gegend im Zentrum des Perseushaufens genau anschaut und genau heißt in dem Fall: Wenn man ein Röntgenweltraumteleskop nimmt und 53 Stunden lang damit beobachtet, dann sieht man einen Haufen Ringe im Gas. Beziehungsweise man sieht, dass das Gas mal dichter und mal weniger dicht ist und die dichteren Regionen lauter unterschiedlich große Ringe um das Zentrum des Haufens bilden. Die Ringe sind jeweils circa 35.000 Lichtjahre voneinander entfernt; es sind also wirklich große Ringe. Was da passiert ist, kann man sich, vereinfacht gesagt, so vorstellen: Das schwarze Loch im Zentrum der Zentralgalaxie NGC 1275 erzeugt Jets und die heizen das Gas zwischen den Galaxien auf. Das heiße Gas bewegt sich jetzt schnell, und fällt nicht mehr in Richtung der Galaxie zurück, wie es das normalerweise im Laufe der Zeit tun würde. Dadurch hat das schwarze Loch aber auch weniger Material, dass es mit seinen Jets wieder nach außen schleudern kann. Die Jets kollabieren also, das Gas kühlt ab, fällt jetzt doch wieder nach innen in den Haufen und aufs zentrale schwarze Loch. Es entstehen neue Jets und das ganze geht von vorne los. Das wiederholt sich alle circa 10 Millionen Jahre und so entstehen die Dichteschwankungen im Intraclustermedium des Perseushaufens.
Die Galaxien des Haufens wechselwirken natürlich auch noch miteinander und auch dafür hat man Hinweise gefunden. Weitere Beobachtungen mit dem Röntgenweltraumteleskop Chandra haben eine Art von Welle aus heißem Gas zwischen den Galaxien entdeckt. Eine Welle allerdings, die doppelt so groß ist wie die Milchstraße. Man geht davon aus, dass die Ursache dafür eine kleinere Galaxie ist, die vor ein paar Milliarden Jahre zu dicht am Perseushaufen vorbei geflogen ist und dabei das ganze Gas ein wenig durcheinander gewirbelt hat.
Im Perseushaufen geht es also ordentlich ab und es ist schade, das wir nichts davon mit unseren Augen sehen können. Mit unseren nicht vorhandenen Röntgenaugen sowieso aber auch nicht mit den normalen. Selbst mit einem Fernglas wird es schwer, den Haufen oder auch nur die zentrale Galaxie NGC 1275 zu sehen. Man braucht schon ein kleines Teleskop dafür und selbst damit wird der Haufen eher unscheinbar aussehen. Aber zum Glück gibt es ja die geballte Macht der Wissenschaft, die uns das zeigen kann, was wir nicht sehen können.
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