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Sternengeschichten: Der verschwundene Weltuntergangskomet

Der Komet Elenin wurde 2010 entdeckt, hat für Weltuntergangspanik gesorgt und hat ein Jahr später aufgehört zu existieren. Was dazwischen passiert ist und wie Komet einfach so verschwinden kann, erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Komet über Sternwarte

Der verschwundene Weltuntergangskomet

Der russische Amateur-Astronom Leonid Elenin hat am 10. Dezember 2010 das gemacht, was er zuvor schon sehr oft gemacht hat, nämlich Bilder des Nachthimmels mit den Teleskopen des International Scientific Optical Network oder kurz ISON. ISON hat überall auf der Welt Teleskope und mit einem, das in New Mexico steht, wurden an diesem Tag vier Bilder gemacht. Das was ISON und Leonid Elenin gesucht haben, sind Asteroiden und Kometen im Sonnensystem. Um sie zu entdecken, braucht man nicht unbedingt große Teleskope, aber man braucht möglichst viele Bilder des selben Bereichs am Himmel zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Die meisten der Lichtpunkte auf diesen Bildern sind Sterne und die bewegen sich im Laufe einer Nacht oder auch mehrerer Nächte nicht. Asteroiden und Kometen tun das aber sehr wohl und wenn man auf einer Bilderserie einen Lichtpunkt findet, der seine Position von Aufnahme zu Aufnahme ändert, stehen die Chancen gut, dass man einen Asteroid oder Komet entdeckt hat. Elenin war zuvor schon oft erfolgreich; bis zu diesem Tag hatte er schon ein paar Dutzend Asteroiden entdeckt. Das, was er auf den Bildern vom 10. Dezember 2010 gefunden hat, war aber kein Asteroid, sondern ein Komet. Und weil Kometen immer nach den Personen oder Einrichtungen benannt werden, die sie entdeckt haben, hat dieser Komet auch seinen Namen bekommen: C/2010 X1 Elenin. Das »C« in der Bezeichnung bedeutet, dass es sich um einen langperiodischen Kometen handelt, der also mehr als 200 Jahre für eine Runde um die Sonne braucht. Und »2010 X1« ist die für Asteroiden- und Kometennamen typische Kombination aus Zahlen und Buchstaben, aus der sich der Entdeckungszeitraum ableiten lässt; in diesem Fall sagt uns das »2010 X1«, dass es sich um den ersten entdeckten Kometen in der ersten Hälfte des Dezembers 2010 handelt.

Aber wir bleiben am besten bei »Komet Elenin«, denn ich will in der Folge über das astronomische Objekt sprechen und nicht den russischen Astronomen. Eigentlich ist Elenin kein besonders außergewöhnlicher Himmelskörper. Mit zwei Ausnahmen: Erstens ist dieser Komet aus ziemlich absurden Gründen enorm prominent geworden, weil viele Menschen behauptet haben, er würde den Weltuntergang verursachen. Und zweitens hat Elenin das nicht nur nicht getan – natürlich nicht – sondern ist quasi selbst untergegangen. Es gibt ihn heute nicht mehr; der Komet Elenin ist weg; er ist zerstört und existiert nicht mehr.

Ende 2010 war er aber noch frisch und munter, aber eher unscheinbar. Der Komet befand sich noch weit von der Erde entfernt, er war uns nur wenig näher als der Jupiter und hätte ungefähr 150.000 mal heller leuchten müssen, um mit freiem Auge gesehen zu werden. Für die Teleskope hat es aber noch gereicht und nach seiner Entdeckung wurden weitere Beobachtungsdaten gesammelt, mit denen man seine Umlaufbahn genauer bestimmen konnte. Und die zeigte, dass Elenin am 10. September 2011 den sonnennächsten Punkt erreichen würde. Ein bisschen später, am 16. Oktober 2011 würde er dann seine größte Annäherung an die Erde erreichen. Aber selbst da wäre immer noch gut 35 Millionen Kilometer weit weg gewesen, es bestand also nie auch nur der Hauch einer Gefahr, dass Elenin mit der Erde kollidiert.

Trotzdem hat es nicht lange gedauert, bis das ganze Internet voll war mit besorgniserregenden Nachrichten. Zum Beispiel, dass sich der Nordpol des Kometen auf den Südpol der Erde ausrichten würde, was zu jeder Menge Zerstörung auf der Erde führt. Oder das die Erde den Schweif des Kometen durchqueren würde, mit ebenso jeder Menge Zerstörung. Oder dass Elenin gar kein Komet ist, sondern in Wahrheit ein brauner Zwerg, also ein Objekt so groß wie der Jupiter und mindestens ein Dutzend Mal massereicher als der Planet. Und der braune Zwerg würde natürlich auch mit der Erde kollidieren und alles zerstören. Oder die Sonne tagelang verdunkeln. Und so weiter – und den Entdeckter, Leonid Elenin, würde es auch nicht geben. Elenin sei nur eine Abkürzung für »Extinction Level Event – Nibiru is Near«, also »Auslöschungsereignis – Nibiru ist nah« und »Nibiru« ist der Name eines fiktiven Himmelskörpers, den sich Verschwörungsleute schon noch viel früher ausgedacht haben und jetzt mit Elenin fusioniert haben.

Es ist aus heutiger Sicht nicht mehr genau zu rekonstruieren, warum gerade dieser eine, unscheinbare Komet plötzlich zum Instrument des Weltuntergangs geworden ist. Wir entdecken ja ständig Kometen; ein paar hundert pro Jahr. Und auch wenn Kometen immer schon Panik bei Menschen ausgelöst haben – davon habe ich in früheren Folgen ja schon erzählt, gibt es eigentlich keinen Grund, warum gerade dieser eine auf einmal so viel Drama verursacht. Vermutlich war es einfach nur der damalige Zeitgeist; wer sich noch daran erinnert, erinnert sich ja vielleicht an den ganzen Unsinn, der über den angeblich von den Maya vorhergesagten Weltuntergang am 21. Dezember 2012 erzählt worden ist. Die ganze Sache war Quatsch von vorne bis hinten und ich will gar nicht weiter darauf eingehen. Aber diese Weltuntergangstheorien haben Anfang 2011 gerade so richtig Fahrt aufgenommen und ein böser Komet passt da natürlich gut hinein.

So oder so: Wir wissen, dass Elenin nicht mit der Erde kollidiert ist. Er hat uns nichts getan; er hat gar nichts gemacht sondern ist einfach verschwunden. Und das ist etwas, was ihn durchaus ein wenig besonders macht. Im Sommer 2011 war Elenin schon weiter ins innere Sonnensystem geflogen und hat das gemacht, was Kometen tun wenn sie näher an die Sonne kommen: Nämlich eine Koma und einen Schweif entwickelt. Auch das habe ich schon oft erklärt: Kometen enthalten sehr viel gefrorenes Material und all dieses Eis taut auf und wird gasförmig. Wenn es dann ins All strömt, reißt es Staub von der Kometenoberfläche mit sich und es bildet sich eine große Hülle aus Staub um den Kometenkern herum. Der Sonnenwind sorgt dann dafür, dass sich aus der Koma der Kometenschweif entwickelt und beides war bei Elenin im Sommer 2011 der Fall. Die Koma war über 100.000 Kilometer groß und auch der Schweif war schön ausgeprägt – aber der Komet insgesamt immer noch zu schwach leuchtend, um mit freiem Auge gesehen zu werden. Dann aber haben die Beobachtungen gezeigt, dass die Koma immer diffuser wird und sich immer weiter in die Länge zieht. Das ist ein Zeichen dafür, dass da nicht einfach nur ein bisschen Staub von der Oberfläche ins All strömt, sondern dass der ganze Komet selbst langsam zerbröselt. Ein Prozess, der natürlich immer weiter fortschreitet, je näher das Objekt der Sonne kommt.

Es war also nicht klar, ob Elenin den sonnennächsten Punkt seiner Bahn überhaupt erreichen wird. Der Komet hat sich immer mehr aufgelöst, hat immer schwächer geleuchtet und im Oktober 2011, also nachdem er den sonnennächsten Punkt seiner Bahn erreicht haben sollte, konnte man ihn gar nicht mehr beobachten. Dafür hat man eine Trümmerwolke gesehen, dort wo sich der Komet befinden sollte. Oder anders gesagt: Elenin hat die Runde um die Sonne nicht überlebt; er ist in so viele, kleine Stücke zerfallen, dass quasi nichts übrig geblieben ist. Die Wolke hat sich im Laufe der Zeit immer weiter verteilt und jetzt ist es so, als habe es ihn nie gegeben.

Der Tod des Kometen Elenin war nicht einzigartig; wir haben auch davor schon Kometen beobachtet, bei denen so etwas passiert ist. Aber es kommt auch nicht so oft vor, dass es nicht dennoch interessant wäre, sich das genau anzusehen. Spätere Analysen der Daten haben gezeigt, dass Elenin ein sehr kleines Objekt war. Der Durchmesser des Kometenkerns war kleiner als 1 Kilometer. Und wenn so ein kleines Objekt bei der Annäherung an die Sonne auftaut und jede Menge Gas ins All strömt, dann kann das dazu führen, dass der Kometenkern seine Rotationsgeschwindigkeit erhöht. Das auströmende Gas wirkt wie jede Menge kleine Triebwerke, die den Kern des Kometen immer schneller um seine Achse drehen. Die schnelle Rotation beschleunigt den Auflösungsprozess, denn so ein Komet ist ja kein massiver Felsbrocken, sondern quasi ein Geröllhaufen, der durch Eis zusammengehalten wird. Die Annäherung an die Sonne, das Austreten des Gases, die erhöhte Rotation: All das hat Elenin den Rest gegeben.

Das ist ein bisschen schade, denn wir wissen heute auch, dass Elenin ein dynamisch neuer Komet war. Das heißt, dass er direkt aus den fernsten Regionen des Sonnensystems gekommen ist, aus der Oortschen Wolke, wo sich – ein paar zehn- bis hunderttausend Mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde – Billionen von Kometen befinden. Normalerweise bleiben sie auch dort, aber ab und zu können gravitative Störungen oder Kollisionen dafür sorgen, dass einer davon auf eine Umlaufbahn gerät, die ihn ins innere Sonnenystem bringt. Manche werden dann quasi eingefangen und bleiben auf Bahnen, die sie alle paar Jahrzehnte in die Nähe der Sonne bringt; manche fliegen aber auch wieder zurück in die Oortsche Wolke und kommen erst in ein paar Jahrhunderttausenden wieder. Und ab und zu passiert auch das, was Elenin passiert ist: Der erste Besuch in der Nähe der Sonne ist auch der letzte. Es wäre interessant gewesen, wenn wir Elenin, einen Kometen, frisch aus der so fernen und unerforschbaren Oortschen Wolke, noch länger beobachten hätten können. Dann hätten zwar die Weltuntergangsspinner weiter ihren Quatsch von Tod, Zerstörung und Unheil erzählt, aber die Astronomie hätte zumindest spannende Daten gehabt. Am Ende war die einzige Zerstörung, die Elenin gebracht hat, aber nur sein eigene…

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