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Sternengeschichten: Hypatia von Alexandria

Hypatia von Alexandria wird oft als «die erste Astronomin» bezeichnet. Ob die Philosophin aus der Spätantike das tatsächlich war, was wir wirklich über sie wissen und was (leider) nicht, erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Das Very Large Telescope in Chile
Die «erste Astronomin»

Sternengeschichten Folge 618: Hypatia von Alexandria

Hypatia von Alexandria ist eine Frau, über die wir mehr wissen, als man erwarten kann. Aber auch eine Frau, von der wir sehr viel weniger wissen, als wir wissen wollen und viel weniger wissen, als angesichts ihrer Arbeit angebracht wäre. Sie ist eine Frau, über die viele Dinge erzählt werden, bei denen wir gerne wüssten, ob sie stimmen und viele Dinge erzählt werden, von denen wir wissen, dass sie falsch sind. Hypatia wird oft als die «erste Astronomin» bezeichnet, was sie vielleicht gewesen sein könnte aber vermutlich nicht war. Am besten Bescheid wissen wir über ihren Tod, und das ist doppelt tragisch, denn dieser Tod war ein gewaltsames Ende und eigentlich war es ihr Leben, das Aufmerksamkeit verdient.

Fangen wir mal mit dem an, was wir tatsächlich wissen. Hypatia von Alexandria wird so genannt, weil sie in der ägyptischen Stadt Alexandria geboren wurde, dort gelebt und dort gearbeitet hat. Sie wurde um das Jahr 360 geboren, als diese Stadt an der Küste des Mittelmeers ihren Höhepunkt erlebt hat. Dort stand der Leuchtturm von Pharos, damals das höchste Bauwerk der Welt und eines der sieben Weltwunder der Antike. Dort stand das Museion, eines der wichtigsten Forschungszentren der Antike, mit der Bibliothek von Alexandria. Von Alexander dem Großen gegründet, wurde Alexandria über 300 Jahre lang von den hellenistischen Königen der Ptolemäer beherrscht, bevor die Stadt im Jahr 30 vor Christus von den Römern erobert wurde.

Hypatias Vater war Theon von Alexandria, ein Astronom und Mathematiker. Er lehrte und forschte, wahrscheinlich im Museion, das damals vermutlich noch existiert hat, aber da fangen die historischen Unsicherheiten schon an. Theon beschäftigte sich mit den Elementen des Euklid, eines der wichtigen mathematischen Texte der Antike (und weit darüber hinaus) und mit dem «Almagest», dem Hauptwerk der antiken Astronomie, verfasst von Claudius Ptolemäus, nach dem auch das geozentrische oder eben ptolemäische Weltbild benannt ist. Beide Bücher wurden von Theon ausgiebig erläutert, übersetzt, überarbeitet und bildeten die Grundlage seiner Lehr- und Forschungstätigkeit. Über Hypatias Mutter ist nichts bekannt, sicher ist aber, dass Hypatia von ihrem Vater entsprechend mathematisch und astronomisch ausgebildet worden ist.

Sie lernte auch Philosophie, allerdings wissen wir nicht, von wem  – aber sie begann dann selbst, Unterricht in Mathematik und Philosophie zu geben. Wie das abgelaufen ist, ist allerdings wieder unklar. Vermutlich nicht im Rahmen einer offiziellen Einrichtung. Wenn ihr Vater tatsächlich im Museion gelehrt hat, dann hat Hypatia das mit Sicherheit nicht getan. Aber sie hatte Schüler, unter anderem Synesios von Kyrene, der unter anderem deswegen heute noch bekannt ist, weil er versucht hat, die Lehren des Christentum mit der damals vorherrschenden Philosophie des Platonismus zu vereinen. Denn, und das wird später auch wichtig werden: Die Zeit in der Hypatia gelebt hat, war aus religiöser Sicht ganz anders als heute. Insbesondere in Alexandria: Dort lebten viele Christen, aber auch Juden und viele, die den römischen und griechischen Glaubenslehren anhingen. Hypatia war so eine «Heidin», aber vorerst war das alles kein Problem. Hypatia hatte viele Christen unter ihren Schülern; der vorhin erwähnte Synesios von Kyrene war einer davon. Von ihm stammen auch eine der wenigen echten Quellen, die wir über Hypatia haben. Einige Briefe, die er an sie geschrieben hat, haben bis heute überdauert. In einem davon informiert er sie zum Beispiel über zwei Bücher, die er gerade verfasst hat und dass er Hypatias Meinung wirklich enorm schätzt, erkennt man an der Frage, die er ihr über die mögliche Veröffentlichung stellt. «Wenn du sagst, dass ich mein Buch veröffentlichen soll, dann werde ich es den Rednern und Philosophen gleichermaßen widmen. Den ersten wird es schmeicheln und für die zweiten wird es nützlich sein, vorausgesetzt, es wird nicht von dir abgelehnt, die du als einzige fähig bist, es zu beurteilen. Wenn du das Buch aber als unwürdig für griechische Ohren befindest, wenn du, wie Aristoteles, Wahrheit mehr als Freundschaft schätzt, dann wird es von Dunkelheit eingehüllt werden und die Menschheit wird davon nie wieder hören.»

Sowas schreibt man nur, wenn einem die Meinung einer Person wirklich wichtig ist… Synesios war einer der wenigen Zeitzeugen, dessen Aussagen über Hypatia heute noch existieren. Er schrieb zum Beispiel auch, dass sie im Philosophenmantel durch die Stadt gezogen ist. Dort sprach sie «für alle, die zuhören wollten, öffentlich über die Lehren des Platon oder Aristoteles». Es gibt aber noch eine zweite zeitgenössische Quelle, den Kirchengeschichtsschreiber Sokrates Scholastikos. Auch er war Christ und auch er fand in seiner Kirchengeschichte lobende Worte für Hypatia: »Es gab in Alexandria eine Frau mit Namen Hypatia, Tochter des Philosophen Theon, die in Literatur und Wissenschaft so erfolgreich war, dass sie alle Philosophen ihrer Zeit übertraf. Viele Hörer kamen von weither, um von ihr unterrichtet zu werden. Dank ihres souveränen Auftretens und ihrer eleganten Erscheinung erscheint sie häufig in der Öffentlichkeit in Gegenwart hoher Staatsbeamter. Sie scheut sich auch nicht, in öffentliche Versammlungen von Männern zu gehen. Alle Männer bewunderten sie dafür auf Grund ihrer außerordentlichen Würde und Tugend umso mehr.«

Nun, das mit der Bewunderung mag für Synesios und Sokrates Scholastikos gelten, aber für die anderen eher nicht, wie wir noch sehen werden. Ok, wir wissen jetzt also, dass Hypatia in Alexandria gelebt und dort offensichtlich erfolgreich Philosophie und Astronomie unterrichtet hat. Was sie da aber genau gelehrt oder selbst geforscht hat, wissen wir nicht. Es war damals auch eher unüblich, selbst neue philosophisch-wissenschaftliche Richtungen zu entwickeln; stattdessen ging es darum, die Lehrern von Platon, Aristoteles und den anderen griechischen Gelehrten zu interpretieren, kommentieren und zu vermitteln. Es ist auf jeden Fall kein Text überliefert, bei dem wir sagen könnten, dass er von Hypatia verfasst wird. Man geht aber davon aus, dass sie mit ihrem Vater Theon gemeinsam am Kommentar des Almagest von Claudius Ptolemäus gearbeitet hat. Das entsprechende Werk trägt immerhin den Titel «Kommentar von Theon von Alexandria zum dritten Buch von Ptolemäus' Almagest, überarbeitet von meiner Tochter Hypatia, der Philosophin». Genaue Analysen der Texte legen aber nahe, dass es Hypatia selbst war, die den Hauptteil des Textes verfasst hat. Von ihr stammt möglicherweise auch der Abschnitt, in dem verbesserte Rechenmethoden für die astronomischen Berechnungen des Ptolemäus vorgeschlagen werden. Sie hat vermutlich auch selbst Werke geschrieben, zum Beispiel über das Buch «Kegelschnitte», das Apollonios von Perge verfasst hat. Also die Ellipsen, Parabeln, Hyperbeln usw. die man erhält, wenn man einen Kegel auf die richtige Weise durchschneidet. Dieser Apollonius hat auch die Grundlage der Planetenbewegung ausgearbeitet, die später von Ptolemäus in seinem Almagest zum geozentrischen Weltbild zusammengetragen wurde.

Eine berühmte Philosophin und Astronomin, die sich einerseits sehr gut in Mathematik auskennt, andererseits auch Werke über Kegelschnitte und Planetenbewegung verfasst hat. Da könnte man ja auf die Idee kommen, dass Hyptia vielleicht wusste, dass sich die Planeten in Wahrheit auf elliptischen Bahnen bewegen und nicht auf Kreisen… Und auf diese Idee sind auch Leute gekommen, allerdings in Romanen und Kinofilmen, wo Hyptia als unerkannte Vorläuferin von Kopernikus und Kepler dargestellt wird. Wofür es absolut keinen Beleg gibt; es gibt nicht den geringsten Grund anzunehmen, dass Hypatia das geozentrische Weltbild in Frage gestellt oder eine eigenständige Planetentheorie entwickelt hat. Ebenso wenig stimmt es, dass Hypatia das Astrolabium oder die Armillarsphäre erfunden hat. Über diese frühen astronomischen Instrumente habe ich ja schon in Folge 181 mehr erzählt. Es waren keine Teleskope, aber damals sehr wichtige Geräte, um Positionen von Himmelskörpern zu bestimmen. Hypatia kannte sich natürlich damit aus und sie war in der Lage, solche Geräte selbst zu konstruieren, was sie vermutlich auch getan hat.

Also: Hypatia war eine gelehrte Frau in einer Welt, in der Frauen eigentlich keine Wissenschaftlerinnen sein konnten oder sollten. Aber sie konnte sich durchsetzen und es ist schade, dass wir nicht mehr von ihr und ihrer Arbeit wissen. Wir wissen, dass sie wahrscheinlich nie geheiratet und ihr ganzes Leben in Alexandria verbracht hat. Und wir wissen definitiv, dass sie dort gestorben ist. Die ganze Geschichte ist ziemlich komplex, aber es läuft darauf hinaus, dass Hypatia Opfer eines außer Kontrolle geratenen Religionstreit geworden ist. Kyrill von Alexandria war damals der christliche Bischof der Stadt. In dieser Position hat er Stimmung gegen die Juden gemacht, die in Alexandria gelebt haben. Es kam zu Streit, zu Kämpfen, zu Plünderungen, zu Mord. Dem römischen Statthalter, Orestes, hat das gar nicht gefallen, und er hat sich in diesen Streit eingemischt. Hypatia war als Freundin oder zumindest enge Bekannte von Orestes bekannt und darüber hinaus eine Heidin: Also ein ideales Feindbild für die Christen. Um seine Position durchzusetzen, holte Kyrill einen Haufen gewaltbereiter fanatischer Mönche aus umliegenden Wüstenklöstern in die Stadt und hetzte diesen Mob auf Hypatia um dadurch Orestes zu treffen. Hypatia wurde öffentlich und sehr gewaltsam umgebracht, in Stücke gerissen und verbrannt.

Das Wissen über Hypatia hat sich seitdem im Laufe der Jahrhunderte mit Legenden vermischt. Aber wenn wir all das weglassen und nur auf das schauen, was wir tatsächlich wissen, dann können wir trotzdem festhalten: Hypatia von Alexandria war eine bemerkenswerte Frau. Und es ist schade, dass wir nicht mehr über ihr bemerkenswertes Leben wissen.

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