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Sternengeschichten: Gisela Weiss - Österreichs erste Astronomin

Gisela Weiss war die erste Österreicherin, die ein Studium der Astronomie abgeschlossen hat. Welche Schwierigkeiten sie dabei hatte und warum wir heute so wenig über sie wissen, erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
Vera C. Rubin Observatory auf dem Berg Cerro Pachón in Chile
Die unbekannte Erste

Sternengeschichten Folge 622: Gisela Weiss – Österreichs erste Astronomin

Es ist immer spannend, wenn man sich die ersten Menschen ansieht, die etwas geschafft haben, was vor ihnen keine andere Person geschafft hat. Sehr oft lernt man dabei eine faszinierende Persönlichkeit kennen. Und man erfährt auch immer etwas über die Zeit, in der die Geschichte stattgefunden hat, denn es hat ja meistens Gründe, warum etwas früher nicht möglich war und dann auf einmal schon. Aber leider gibt es viele dieser ersten Male, über die wir nichts wissen und viele, über die viel zu wenig wissen. Die Geschichte von Gisela Weiss ist so ein Fall.

Was wir wissen ist: Gisela Weiss ist die erste Frau, die in Österreich eine Promotion im Fach Astronomie abgeschlossen hat. Sie hat also eine Doktorarbeit verfasst und dafür auch eigenständige wissenschaftliche Forschungsarbeit geleistet. Man kann sie also durchaus als die erste österreichische Astronomin bezeichnen. Aber natürlich muss man in diesem Fall auch berücksichtigen, dass es auch davor auch schon Frauen gegeben hat, die sich mit der Astronomie beschäftigt haben und die Geschichte der Astronomie deutlich älter ist, als ein Land wie Österreich. Über diese Probleme der historischen Einordnung habe ich ja schon in Folge 463 erzählt, als es um Waltraut Seitter ging, die erste Professorin für Astronomie in Deutschland.

Aber lassen wir das mal beiseite und beschäftigen uns mit Gisela Weiss. Sie wurde am 14. Juli 1891 in Wien geboren. Ihr Vater war Leo Weiß, der ursprünglich aus Galizien stammte, also der Gegend, die heute den Süden von Polen und den Westen der Ukraine ausmacht und damals Teil des Kaisertums Österreich war. Leo Weiß hat westlich von Wien, in Klosterneuburg, mehrere Firmen gegründet, die Holz und Metall verarbeitet haben. Über die Kindheit seiner Tochter Gisela ist wenig bekannt. Sie hat ein Mädchenobergymnasium in Wien besucht, über das sich aber heute nichts mehr herausfinden lässt; vielleicht, weil es keine öffentliche Schule war. Eine allgemeine Schulpflicht auch für Mädchen bis zum 12. Lebensjahr hat es in Österreich schon gegeben, seit sie 1774 unter Kaiserin Maria Theresia eingeführt worden ist, eine höhere Bildung zu erlangen war aber immer noch nicht selbstverständlich. Immerhin: Ab dem Jahr 1878 durften auch Frauen die Matura ablegen, also das, was in Deutschland »Abitur« genannt wird und im Prinzip die Berechtigung für ein Studium an einer Universität darstellt. Und ich sage deswegen »im Prinzip« weil Frauen in Österreich zwar die Matura ablegen konnten, sie dann aber trotzdem nicht studieren durften. Das fanden aber immer mehr Menschen ungerecht und nicht nur die Frauen selbst. Ein Mitglied des damaligen Abgeordnetenhauses hat im Jahr 1895 festgestellt: »Von allen Staaten der Erde stehen heute nur noch Österreich und Deutschland auf dem Standpunkte, daß sie der weiblichen Jugend das Universitätsstudium verwehren wollen … Dort, wo es sich um einen humanitären und wissenschaftlichen Fortschritt handelt, kommen wir immer zuletzt.« Trotzdem war der Kampf um Gleichberechtigung zäh. Ab 1896 wurde es zum Beispiel zwar erlaubt, dass Frauen, die im Ausland ein Doktorat in Medizin hatten, das auch in Österreich anerkennen lassen konnten. Aber sie mussten dafür trotzdem ihre Abschlussprüfung ein weiteres Mal ablegen und dazu nachweisen, dass sie ein »moralisch einwandfreies Vorleben« hatten – was Männer übrigens alles nicht tun mussten. 1897 durften dann aber endlich auch Österreicherinnen mit ihrer Matura ein Studium beginnen. Natürlich war damit noch immer nicht alles geschafft; manche Professoren haben sich geweigert, vor einem Publikum aus Männern und Frauen zu unterrichten; Frauen durften nicht alle Vorlesungen besuchen oder alle Disziplinen studieren. Aber obwohl dieses Thema sehr interessant und wichtig ist, schauen wir jetzt wieder zurück zu Gisela Weiss.

Sie legte ihre Matura im Jahr 1912 am Gymnasium Rahlgasse in Wien ab; darüber gibt es noch Aufzeichnungen. Danach begann sie ein Studium an der Universität Wien in den Fächern Mathematik, Physik und Astronomie. Es wäre schön zu wissen, warum sie sich dafür entschieden hat. Aber diese Information existiert leider nicht. Wir wissen nur, dass sie dabei nicht unerfolgreich gewesen sein kann. Denn im Jahr 1917 konnte sie ihre Doktorarbeit in Astronomie abschließen. Wer sich ein bisschen mit der Geschichte der Wiener Universitätssternwarte beschäftigt hat, wird leicht erraten können, wovon sie handelt. Damaliger Direktor der Sternwarte war Josef von Hepperger, Vizedirektor war Johann Palisa und Palisa war einer der wichtigsten damaligen Forscher auf dem Gebiet der Kleinplaneten, also den Himmelskörpern, die wir heute »Asteroiden« nennen. Palisa hat 121 davon entdeckt; er hat sich mit der Bestimmung ihrer Bahnen beschäftigt und Kataloge erstellt, mit denen man Asteroiden leichter finden kann. Die Geschichte der Universitätssternwarte Wien wäre ebenfalls ein spannendes Thema für mehr als nur eine Podcastfolge. Aber für heute reicht es zu sagen, dass die Erforschung der Kleinplaneten das wichtigsten Arbeitsgebiet der damaligen Sternwarte in Wien war und fast das einzige Arbeitsgebiet. Es ist also absolut nicht überraschend, wenn die Doktorarbeit von Gisela Weiss sich ebenfalls mit Kleinplaneten beschäftigt. Sie hatte sich den Asteroid Ambrosia ausgesucht. Oder besser gesagt: Vermutlich hat Josef von Hepperger dieses Thema ausgewählt, der die Arbeit auch beurteilt hat, aber dazu später mehr.

Der Asteroid Ambrosia wurde am 28. Februar 1879 entdeckt und zwar von Frankreich aus und dem französischen Astronom Jérôme-Eugène Coggia. Dann hat man es aber 35 Jahre lang nicht mehr beobachtet und erst 1915 konnte ihn der deutsche Astronom Max Wolf von Heidelberg aus wieder finden und ihn auch fotografieren. Johann Palisa, ein enger Kollege von Wolf, machte von Wien aus jede Menge Beobachtungen von Ambrosia, insgesamt 23 Stück. Damit war er im April 1916 fertig. Aber Beobachtungen sind noch keine Bahnbestimmung. Dazu braucht es jede Menge Mathematik und – ohne Computer oder gar Taschenrechner – sehr viel händisches Rechnen. Es liegt nahe, dass man diese Arbeit an eine Studentin ausgelagert hat, die ein Thema für ihre Dissertation gebraucht hat. Auf jeden Fall war die Bahnbestimmung von Ambrosia das Thema von Gisela Weiss' Doktorarbeit, die am 21. April 1917 beurteilt wurde; und am 28. Juni 1917 wurde ihr offiziell der Doktorgrad verliehen.

Recht freundlich war die Beurteilung allerdings nicht: »Die vorliegende Abhandlung kann mit Rücksicht auf die bedeutende hierauf angewendete Arbeit und deren gute Durchführung noch als den gesetzlichen Anforderungen entsprechend bezeichnet werden«. Ob das wirklich stimmt beziehungsweise was tatsächlich in der Arbeit von Weiss' stand, wissen wir nicht. Ihre Dissertation ist in keiner Bibliothek mehr auffindbar und ihre Forschungsergebnisse sind auch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden. Letzteres ist aber nicht ungewöhnlich, damals hat man Doktorarbeiten nur sehr selten publiziert. Dass sie aber auch weder in der Uni- noch in der Nationalbibliothek zu finden ist, ist schade. Auf jeden Fall wissen wir, dass die Arbeit von Gisela Weiss gut genug für eine Promotion war. Dass sie kein genialer Geistesblitz war, der die Astronomie revolutioniert hat, ist auch nicht überraschend. Erstens ist das bei Dissertationen selten der Fall, die meisten davon sind zwar eigenständige Forschungsarbeiten, die sich aber dann doch eher mit Themen beschäftigen, wo man im voraus schon halbwegs abschätzen kann, was herauskommen wird und das man das Thema auch in der nötigen Zeit abschließen kann. Das gilt heute wie damals und so wie heute hat man auch damals wahrscheinlich nur bedingt selbst auswählen können, was für ein Thema man bearbeitet. So etwas wird üblicherweise von den Betreuern vorgeschlagen und wer weiß, ob Gisela wirklich Lust auf die Bahnbestimmung gehabt hat oder eigentlich lieber etwas anderes machen wollte? Wir wissen auch nicht, ob sie enttäuscht war, dass ihre Arbeit zwar für eine Promotion gereicht, den Betreuern aber anscheinend nicht so gut gefallen hat. Wir wissen nicht, ob es irgendwelche Unstimmigkeiten zwischen Gisela Weiss und den restlichen Mitarbeitern an der Uni-Sternwarte gab. Wir wissen nur, dass sie nach ihrer Promotion die Universität verlassen hat, um im Betrieb ihres Vaters zu arbeiten. Sie hat 1920 geheiratet, sich aber später wieder scheiden lassen. Leo Weiss ist 1930 gestorben, seine Firma ist aber im Besitz der Familie geblieben und man kann davon ausgehen, dass Gisela Weiss weiterhin dort gearbeitet hat. Zumindest bis 1938, als der Betrieb – so wie viele andere Firmen im Besitz jüdischer Familien – von den Nationalsozialisten enteignet worden ist. Was Gisela Weiss in dieser Zeit gemacht hat, ist ebenfalls unbekannt. Sie muss es allerdings geschafft haben, Österreich zu verlassen, denn im Jahr 1950 wurde sie Staatsbürgerin von Israel und lebte in Tel Aviv. Sie ist aber immer wieder nach Wien zurück gekehrt, dürfte ausreichend viel Geld gehabt haben um auch dort entsprechend gut zu wohnen. Das Ende ihres Lebens hat sie in einem Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde verbracht wo sie am 12. Juni 1975 gestorben ist. Ihr Grab befindet sich am jüdischen Friedhof von Klosterneuburg.

Das ist mehr oder weniger alles, was wir über Gisela Weiss wissen. Es gibt keine Nachfahren, die mehr über sie erzählen könnten und keine weiteren bekannten Dokumente, die mehr Informationen über ihr Leben verraten. Und das bisschen, das wir wissen, verdanken wir auch nur der Recherche von Anneliese Schnell, ebenfalls eine Astronomin aus Wien, die seit 1966 bis zu ihrem Tod im Jahr 2015 an der Universitätssternwarte Wien gearbeitet hat. Schnell war übrigens selbst auch eine »Erste«, nämlich die erste Frau, die 1974 in den Vorstand der Astronomischen Gesellschaft gewählt wurde, eine der ältesten astronomischen Vereine Europas und heute immer noch der Fachverband der deutschen Astronomie. Schnell hat ihre Dissertation übrigens 1967 abgeschlossen: Genau 50 Jahre nach Gisela Weiss.

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