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Sternengeschichten: Przybylskis Stern - Fabrik für exotische Elemente?

Przybylskis Stern ist nicht nur schwer auszusprechen sondern besteht auch aus höchst seltsamen Elementen. Wir haben keine Ahnung, was da abgeht, aber ein paar spannende Ideen. Wie die aussehen, erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.

Am 4. März 1961 hat der polnisch-australische Astronom Antoni Przybylski einen Fachartikel veröffentlicht, der den relativ harmlosen Titel »HD 101065-a GO Star with High Metal Content« trägt. Also übersetzt: »HD 101065-a ein GO Stern mit hohem Metallgehalt«. Das klingt nicht sonderlich aufregend, zumindest dann, wenn man weiß, dass in der Astronomie das Wort »Metall« etwas anderes bedeutet als im normalen Sprachgebrauch. Aber dazu kommen wir später noch. Aber tatsächlich ist der Stern, den Przybylski entdeckt und in seiner Arbeit beschrieben hat, definitiv enorm aufregend. So aufregend, dass die Forschung auch mehr als 60 Jahre später immer noch jede Menge offene Fragen hat, was dieses Ding angeht.

Aber fangen wir mit dem an, was wir definitiv wissen. Der Stern wurde am 26. April 1960 von der Mount Stromlo Sternwarte in Australien aus beobachtet. Er ist knapp 360 Lichtjahre von der Erde entfernt und dort am Himmel, wo sich das Sternbild Zentaurus befindet. Er hat die 1,4-fache Masse der Sonne, ist doppelt so groß und leuchtet circa 5,5-mal heller. Przybylski hat damals nicht gezielt nach seltsamen Sternen gesucht, er wollte Sterne finden, die sich schnell bewegen und dafür hat er diverse Sterne aus dem Henry-Draper-Katalog im Detail beobachtet. Er hat ihr Spektrum bestimmt; hat also das Licht der Sterne das durch sein Teleskop gefallen ist, mit optischen Instrumenten in seine Bestandteile aufgespalten, um zu sehen, wie viel Energie das Licht bei bestimmten Wellenlängen hat. Das ist eine Standardtechnik in der Astronomie, die ich ja schon sehr oft im Podcast erklärt habe. Im Spektrum eines Sterns gibt es immer Bereiche, wo bei bestimmten Wellenlängen quasi gar nichts durchkommt. Das ist das, was man »Spektrallinien« nennt, weil dort in der visuellen bzw. grafischen Darstellung des Spektrums eine dunkle Linie zu sehen ist. Welche Spektrallinien zu sehen sind, hängt davon ab, aus welchen Elementen ein Stern besteht, denn jedes chemische Element blockt andere Wellenlängen des Lichts ab. Und wo genau man die Linie im Spektrum sehen kann, hängt davon ab, wie schnell sich die Lichtquelle, also der Stern, bewegt. Deswegen hat sich Przybylski die Spektren angesehen und deswegen hat er auch entdeckt, dass dieser eine Stern eine ganz besondere chemische Zusammensetzung hat.

Der Stern hat vor allem sehr viele Metalle, womit in der Astronomie alles bezeichnet wird, was kein Wasserstoff und kein Helium ist. Wasserstoff und Helium sind mit sehr, sehr großem Abstand die häufigsten Elemente des Universums und damit auch die Elemente, aus denen Sterne fast komplett bestehen. Alles andere – also Zeug wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Gold, Silber, Eisen, usw, der ganze Rest des Periodensystems – wird in der Astronomie mit dem Begriff »Metalle« zusammengefasst, war zwar verwirrend und aus chemischer Sicht Quatsch ist, aber sich nun mal eben historisch so eingebürgert hat.

Sterne, die viele Metalle enthalten, sind jetzt erst mal nicht außergewöhnlich. Die Sonne enthält auch Metalle, genau so wie alle anderen Sterne, die wir bis jetzt beobachtet haben. Nur die allerersten Sterne, die im Universum entstanden sind, können keine Metalle enthalten haben, denn damals gab es ja nur Wasserstoff und Helium, wie ich in Folge 454 der Sternengeschichten erzählt habe. Die ganzen anderen chemischen Elemente sind ja erst durch Kernfusion im Inneren der Sterne erzeugt worden. Je später ein Stern in der Geschichte des Universums entstanden ist, desto mehr Metalle kann er – theoretisch – enthalten. Es kommt aber nicht nur auf die Menge der Metalle an, sondern auch auf die Art. Und das ist genau das, was die Leuten bei Przybylskis Stern bis heute irritiert. Przybylski selbst konnte damals unter anderem Barium und Strontium nachweisen und das in ungewöhnlich großen Mengen. Außerdem viele der sogenannten »seltenen Erden«. Mittlerweile weiß man, dass es dort Caesium gibt, Holmium, Niob, Scandium, Yttrium, Neodym oder Praesodym. Von dem Zeug gibt es dort mehr als man eigenlich erwarten würde. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass Przybylskis Stern viele Actinoide enthält, also chemische Elemente die im Allgemeinen radioaktiv und darüber hinaus sehr kurzlebig sind. Thorium und Uran hat man definitiv gefunden, aber auch Indizen für Actinium, Protactinium, Neptunium, Plutonium, Americium, Curium, Berkelium, Californium und Einsteinium. Mit den meisten dieser Elemente hat man es im Alltag so gut wie nie zu tun, sie kommen eigentlich auch nicht natürlich vor. Elemente wie Neptunium, Plutonium, Americium, Curium, Berkelium, Californium und Einsteinum haben wir in kernphysikalischen Laboren oder bei der Explosion von Kernwaffen entdeckt; die liegen nicht einfach irgendwo rum. Und sie liegen deswegen nicht irgendwo rum, weil sie eben so stark radioaktiv sind und nach sehr kurzer Zeit wieder zerfallen. Einsteinium hat zum Beispiel im besten Fall eine Halbwertszeit von 472 Tagen. Das heißt, selbst wenn ein Stern aus irgendeinem Grund bei seiner Entstehung eine relevante Menge dieses Elements von irgendwoher mitbekommen hat, ist davon nach ein paar Millionen Jahren definitiv nichts mehr übrig.

Przybylskis Stern ist auf jeden Fall über eine Milliarde Jahre alt; wenn wir heute dort solche Elemente wie Einsteinium finden, stimmt also irgendwas nicht. Es ist aber immer noch umstritten, ob man Einsteinium wirklich nachweisen konnte. Das liegt vor allem daran, dass wir hier auf der Erde nicht genug Einsteinium für die Forschung haben, um zu wissen, welche Art von Spektrallinien es im Detail produziert. Beim Element Promethium sieht es aber anders aus; das kennen wir hier auf der Erde und nutzen es zum Beispiel in der Raumfahrt als Energiequelle. Und man hat es auch relativ sicher in Przybylskis Sterns nachgewiesen. Promethium hat aber im besten Fall eine Halbwertszeit von knapp 18 Jahren; die Lage ist also nicht viel besser als beim Einsteinium.

Also: Was ist da los? Wie kommt dieser Stern an so eine seltsame Sammlung chemischer Elemente und wieso sind dort Elemente, die eigentlich schon längst zerfallen sind. Die kurze Antwort ist: Keine Ahnung. Die längere Antwort lautet: Keine Ahnung, aber wir haben zumindest ein paar spannende Ideen. Es könnte zum Beispiel sein, dass Przybylskis Stern nicht alleine ist, sondern einen Begleiter hat. Dieser Begleiter könnte ein Neutronenstern sein, also der Überrest eines ehemaligen, großen Sterns. So ein Neutronenstern könnte Teilchen mit hoher Geschwindigkeit ins All schleudern, die dann, wenn sie auf Przybylskis Stern treffen, die entsprechenden radioaktiven Elemente erzeugen. Bis jetzt haben wir so einen Neutronenstern aber noch nicht nachgewiesen. Das heißt nicht, dass es ihn nicht gibt, aber wenn es ihn gibt, muss er sich in einer speziellen Umlaufbahn befinden, um sich so lange vor uns verstecken zu können.

Trotzdem ist das fast noch die plausibelste Erklärung. Eine andere lautet nämlich so: Wir wissen zwar, dass die chemischen Elemente tendenziell immer instabiler werden, je mehr Kernteilchen sie enthalten. Also Atome wie Wasserstoff, mit nur einem Proton als Kernbaustein oder Sauerstoff mit 8 Protonen und 8 Neutronen sind stabil und zerfallen nicht und Elemente wie Einsteinium mit 99 Protonen und mindestens ebenso vielen Neutronen sind hoch radioaktiv und zerfallen schnell. Es gibt aber die Theorie einer »Insel der Stabilität«, laut der, vereinfacht gesagt, Elemente existieren können, die ein bisschen stabiler sind, wenn die Zahl der Kernbausteine noch höher wird. Sie zerfallen zwar auch irgendwann, aber überleben deutlich länger. Wenn es diese Insel der Stabilität im Periodensystem gibt, dann könnte es entsprechende Elemente in Przybylskis Stern geben, die im Laufe der Zeit langsam zerfallen und als Zerfallsprodukte die beobachteten Elemente wie Einsteinium oder Promethium produzieren. Und weil dieser Zerfall der superstabilen Elemente kontinuierlich abläuft, wird eben auch dauernd neues Material als Zerfallsprodukt nachgeliefert. Das ist als Hypothese schon wild genug, aber man muss auch irgendwie erklären, wie ein Stern an solche Elemente kommt. Der Vorschlag: Vielleicht gibt es spezielle Arten von Supernova-Explosionen, die sie produzieren und dann durchs All schleudern.

Oder vielleicht sind die superstabilen Elemente eh auch häufig in Sternen, aber wir kriegen sie nur in Ausnahmefällen zu sehen. Przybylskis Stern ist nämlich auch ein sogenannter roAp-Stern, ein Rapidly oscillating Ap star oder »schnell oszillierenden Ap Stern«. Ich erkläre jetzt nicht im Detail, was das bedeutet, aber kurz gesagt: Der Stern ändert seine Helligkeit schnell und das deutet darauf hin, dass in seinem Inneren auch jede Menge an Dynamik abläuft, die es anderswo nicht gibt. Vielleicht werden die komischen Elemente nur bei solchen Sternen so weit aus dem Kern nach oben transportiert, dass wir sie mit spektroskopischen Methoden nachweisen können. Wie gesagt: Wir haben noch zu wenig Ahnung.

Und wenn man keine Ahnung hat, kann man es natürlich auch immer mit einer anderen Antwort probieren: Aliens! Tatsächlich wurde auch schon vorgeschlagen, dass Außerirdische die ganzen obskuren Elemente absichtlich in Przybylskis Stern gekippt haben. Warum? Vielleicht weil sie so auf sich aufmerksam machen wollten – was ja dann auch recht gut funktioniert hätte. Oder vielleicht haben sie auf diesem Weg versucht, ihren radioaktiven Müll loszuwerden, aber dann müssten sie SEHR viel von diesem Müll haben. Gut, bei Aliens ist alles möglich, das ist ja das praktische und gleichzeitig das blöde, wenn man sie als Erklärung für irgendwas heranziehen will.

Am Ende bleibt ein Stern, der ohne jeden Zweifel nicht so ist wie andere Stern. Ein Stern, der chemische Elemente enthält, die uns vor ein Rätsel stellen. Ein Stern, der uns die Entdeckung chemischer Elemente ermöglichen könnte und vielleicht einer ganz neuen Art von Chemie und Kernphysik. Es könnte ein Stern sein, der uns den Kontakt zu Aliens ermöglicht. Oder zumindest zu ihren Müllkippen…

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