Wenig Salz, zu viel Medizin: Zwischen Natriumrestriktion und Überversorgung

Salz aufs Ei oder lieber Kräutertee? In dieser Episode des »EvidenzUpdate«-Podcasts nehmen wir uns die salzige Wahrheit hinter natriumarmer Ernährung vor – und wie realistisch eine solche Ernährungsumstellung ist. Martin Scherer muss seinem Co-Host erst einmal die Physiologie erklären. Dann bringt er eine Metanalyse mit, die für Bluthochdruck solide Evidenz liefert, dass eine Reduktion der Salzzufuhr – auf unter 2,3 Gramm täglich – den Blutdruck um bis zu 7 mmHg senken kann. Doch hier beginnt das Problem: Wie misst man das überhaupt? Und wie lässt sich eine solche Reduktion im Alltag umsetzen?
Die versteckten Salzmengen in Brot, Käse und Fertiggerichten machen eine gezielte Einschränkung fast unmöglich. Eine vollständige Ernährungsumstellung wäre nötig – inklusive Haferflocken, ungesalzenen Reiswaffeln und gedünstetem Gemüse. Genuss sieht anders aus. Und selbst wenn man sich tapfer daran hält, zeigt die Metaanalyse: Die Blutdrucksenkung ist messbar, aber die Effekte sind vergleichsweise klein. Fazit: Salzrestriktion ist theoretisch sinnvoll, praktisch aber schwer umsetzbar. Der eigentliche Hebel liegt in einer grundsätzlichen Ernährungsumstellung, die insgesamt gesünder ist – aber das bleibt für viele eine Herkulesaufgabe.
Nach »dem Frühstück« geht es in dieser Episode dann an die Überversorgung. Eine neue Studie zur »Low-Value Care« in Deutschland zeigt, dass jährlich bis zu 10% der medizinischen Maßnahmen als überflüssig gelten können – von unnötigen Antibiotikaverschreibungen bei Atemwegsinfekten über überflüssige Schilddrüsenhormon-Tests bis hin zu problematischen Benzodiazepinverordnungen für ältere Menschen. Diese »Low-Value Care« verschwendete in der besprochenen Arbeit nicht nur zwischen 10 und 15 Millionen Euro jährlich, sondern blockiert auch ärztliche Ressourcen, die anderswo dringend gebraucht würden.
Aber ist das wirklich alles schlechte Medizin? Oder sind es manchmal auch Patientenwünsche? Eine Denkblase aus der Choosing-Wisely-Kampagne bringt es auf den Punkt: »Ich brauche eine Diagnose!«, »Mein Freund hat das auch bekommen!«, »Meine Frau sagt, ich soll nicht ohne Rezept nach Hause kommen!« – all das beeinflusst ärztliche Entscheidungen. Die Lösung? Mehr Patientenedukation, finanzielle Anreize für evidenzbasierte Medizin und weniger Vergütung für nachweislich sinnlose Maßnahmen. Doch Scherer mahnt: Bürokratie darf hier nicht noch mehr Überhand nehmen.
Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Wie beeinflusst die geplante Gesundheitsreform die Primärversorgung? Darüber könnte es in einer der nächsten Episoden gehen – vorausgesetzt, die Politik kommt in die Gänge. Bis dahin bleibt als Fazit: Weniger Salz aufs Ei und mehr Evidenz in der Medizin, und immer mit Augenmaß.
Quellen:
- Huang L, Trieu K, Yoshimura S, et al. Effect of Dose and Duration of Reduction in Dietary Sodium on Blood Pressure levels: Systematic Review and meta-analysis of Randomised Trials. BMJ 2020;368:m315. doi: https://doi.org/10.1136/bmj.m315
- Hildebrandt M, Pioch C, Dammertz L, et al. Quantifying Low-Value Care in Germany: An Observational Study Using Statutory Health Insurance Data From 2018 to 2021. Value in Health Published Online First: November 2024. doi: https://doi.org/10.1016/j.jval.2024.10.3852
- Clarkson M. What is Choosing Wisely? Health Quality Council. 2020. https://www.saskhealthquality.ca/blog/what-is-choosing-wisely/#win (accessed 11 Mar 2025).
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