Wirkstoffradio: Wie funktioniert unser Geruchssinn?
Bernd und André waren zu Gast am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der TU München (LSB) und haben dort mit mehreren Wissenschaftler*innen gesprochen – es gibt also eine kleine Serie aus dem LSB.
Den Anfang macht PD Dr. Dietmar Krautwurst. Er leitet die Sektion II: Chemorezeptoren & Biosignale und forscht selbst am Geruchssinn und den dabei beteiligten Rezeptoren.
Bernd kennt Dr. Krautwurst schon länger von den regelmäßigen Treffen des Leibniz-Forschungsverbundes »Wirkstoffe und Biotechnologie« und hat daher nicht lange gezögert dafür zu sorgen, dass diese Wirkstoffradio-Episode aufgenommen wird.
Geruch im weitesten Sinne und G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs)
Nach Abschluss seiner Doktorarbeit war Herr Krautwurst auf der Suche nach einen spannenden Thema mit vielen offenen Fragen – und so führte ihn seine Suche schließlich zu den G-Protein-gekoppelten Rezeptoren und zum Geruch. Ein paar Links zu Stichworten, die im Gespräch vorkommen:
- Geruchssinn, Wikipedia-Artikel
- G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, Wikipedia-Artikel
- Nobelpreis 2012 für die Erforschung von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, Portal für organische Chemie
- Howard Hughes Medical Insitute, Wikipedia-Artikel
- Cytidinmonophosphat (CMP), Wikipedia-Artikel
- Signalkaskade, Wikipedia-Artikel
- G-Protein, Wikipedia-Artikel
- Ionenkanal, Wikipedia-Artikel
- Genfamilie, Wikipedia-Artikel
Die Wissenschaftler*innen Linda B. Buck und Richard Axel wurden 2004 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet, für die Erforschung der Riechrezeptoren und der Organisation des olfaktorischen Systems. Alle Riechrezeptoren gehören zu den G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCRs). Dr. Krautwurst erklärt, dass sich im menschlichen Genom Gene für 800 verschiedene GPCRs finden und davon 400 für den Geruchssinn verantwortlich sind.
Was genau ist ein GPCR?
GPCRs sind Rezeptoren, die in der Doppellipid-Membran von Zellen und oder Endosomen sitzen und Signale über Guanosintriphosphat-bindende Proteine (G-Proteine) ins Innere der Zelle oder des Endosoms weiterleiten. Guanosintriphospaht wird auch als GTP angekürzt.
Dr. Krautwurst führt aus, dass es sich bei den GPCRs immer um sequentiell gekoppelte Rezeptorsysteme handelt, und geht dabei auch weiter ins Detail. Eine gute Zusammenfassung zur Funktion der GPCRs findet sich auf Wikipedia: GPCR Funktion.
Die Reaktion der Geruchsnervenzelle
Wenn ein G-Protein gekoppelter Rezeptor ein Signal in die Zelle überträgt, ist dies eine Übersetzung einer chemischen Information in eine biochemische Information. Letztendlich muss aber ein elektrisches Signal in unserem Gehirn ankommen. Wie diese Umwandlung von statten geht, und was dabei in einer Nervenzelle passiert, erklärt Dr. Krautwurst ausführlich. Ein paar Links zu Stichworten, die in der Erklärung vorkommen:
- Aktionspotential, Wikipedia-Artikel
- Erregungsübertragung, Wikipedia-Artikel
- Riechzentrum, Wikipedia-Artikel
- Zilie, Wikipedia-Artikel
- Axon, Wikipedia-Artikel
Außerdem vergleicht Herr Krautwurst den Geruchssinn mit anderen Sinnen, um seine Sonderrolle zu verdeutlichen, denn die Nervenzellen des Geruchssinns in der Nase reichen direkt bis ins Gehirn.
Was riechen wir eigentlich?
Ausgehend von den Stoffen die mit den Geruchsnervenzellen wahrgenommen werden, sprechen Bernd und André mit Herrn Krautwurst darüber, was wir überhaupt an Stoffen durch das Riechen wahnehmen, und wie das funktioniert. Einige Stichworte, die im Gespräch vorkommen:
- flüchtige organische Verbindungen, Wikipedia-Artikel
- retronasale Aromawahnehmung, Wikipedia-Artikel
- Nasopharynx, Wikipedia-Artikel
- Terpenoide, Wikipedia-Artikel
- Aroma – Schlüsselaromastoffe, Wikipedia-Artikel
- Geruchsschwelle, Wikipedia-Artikel
Auch interessant in diesem Zusammenhang, der Wikipedia-Artikel Fruchtaroma, da hier die charakteristischen Aromen einzelner Früchte auseinander genommen werden und die jeweiligen Schlüsselaromastoffe benannt sind.
Außerdem hat die Arbeitsgruppe von Dr. Krautwurst gerade einen wissenschaftlichen Artikel zu einem Geruchsstoff veröffentlicht, der sehr spezifisch für den Geruch einer erhitzten Zwiebel ist. Den Link zu dieser Veröffentlichung werden wir nachreichen.
Hier die Veröffentlichung dazu (open access): OR2M3: Franziska Noe et al., A Highly Specific and Narrowly Tuned Human Odorant Receptor for the Sensitive Detection of Onion Key Food Odorant 3-Mercapto-2-methylpentan-1-ol, Chemical Senses, Volume 42, Issue 3, 1 March 2017, Pages 195–210.
Die unterschiedliche Spezifizität einzelner Geruchsrezeptoren
Bernd fragt ,ob es eine Erklärung dafür gibt, dass manche Rezeptoren eine Vielzahl an Stoffen detektieren können und andere nur durch einen ganz bestimmten Stoff eine Reaktion zeigen. Dies liegt vor allem daran, dass der Mensch immer einer Mischung von Gerüchen ausgesetzt ist, und eine Mustererkennung statt finden muss, erklärt Dr. Krautwurst. In seiner Forschungsarbeit untersuchte er auch die Entwicklung verschiedener Rezeptoren in anderen Spezies, aber auch bei Neandertalern und anderen engen Verwandten des modernen Menschen.
Adaption der Nase und die Evolution
Wir sprechen darüber, wie sich die Nase an Gerüche gewöhnt und welche Mechanismen dabei eine Rolle spielen. Aber auch darüber, wie sich der Geruchssinn entwickelt hat und welche Aufgaben er erfüllt. Dazu ein paar Links zu den Stichworten, die erwähnt werden:
- Phosphorylierung, Wikipedia-Artikel
- Internalisierung (Pharmakologie), Wikipedia-Artikel
- Genexpression, Wikipedia-Artikel
- Pheromon, Wikiepadia-Artikel
- das Unterbewusste, Wikipedia-Artikel
Schlüsselaromastoffe und der Unterschied zwischen Geruch und Geschmack
Es existieren knapp 230 Stoffe die Aromadefinierend sind. Dass heißt, diese Stoffe kommen oberhalb der Wahrnehmungsschwelle in Lebensmitteln vor und sie haben in entsprechenden Experimenten gezeigt, dass sie das Aroma eines Lebensmittels täuschend echt nachbilden. Umgekehrt ausgedrückt: Schlüsselaromastoffe sind Substanzen, die das Aroma von Lebensmitteln maßgeblich bestimmen.
Herr Krautwurst grenzt auch ab, wo der Unterschied zwischen Geschmack und Geruch liegt. Beim Geschmack spielen auch G-Protein-gekoppelte Rezeptoren eine Rolle, es sind aber weitaus weniger als beim Geruchssinn. Die Unterschiede und auch die pysiologische Funktion der Warnung, beispielsweise durch einen Bittergeschmack, werden besprochen sowie die Aspekte der Geruchs- und Geschmacksempfindung, die erlernt werden oder kulturell geprägt sind. Außerdem können manche Menschen gegenüber bestimmten Geruchsstoffen »blind« sein. Das nennt man dann spezifische Anosmie.
Zum Beispiel können ca. 7% aller Menschen keinen Pfefferminzgeruch wahr nehmen, und 40% können Androstenon nicht riechen.
Geruchsrezeptoren sind nicht nur in der Nase
Nur die Nase ist für die Wahrnehmung von Gerüchen zuständig. Dr. Krautwurst erklärt aber, dass die Geruchsrezeptoren auch noch an anderen Orten außerhalb der Nase vom Körper gebildet werden. Dort riecht man allerdings nicht, sie nehmen dort andere physiologische Aufgaben wahr. Ein paar Links zu den Stichworten aus dem Gespräch:
- RNA, Wikipedia-Artikel
- weiße Blutkörperchen, Wikipedia-Artikel
- Chemotaxis, Wikipedia-Artikel
- radioaktive Markierung, Wikipedia-Artikel
Die Geruchsrezeptoren des Menschen werden in zwei Klassen eingeteilt: Die Klasse 1 beinhaltet nur 54 Geruchsrezeptoren, die sehr eng verwandt sind mit Rezeptoren, die man auch bei Fischen findet und die Klasse 2, in die alle restlichen Geruchsrezeptoren eingeordnet sind (ca. 350). Wobei die Klasse 1 eher wasserlösliche Substanzen detektieren kann und Klasse 2 eher die flüchtigen, nicht-wasserlöslichen Substanzen detektiert.
Forschung am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie
Das LSB hat eine lange Geschichte und war in der Zeit seines über 100jährigen Bestehens nicht immer ein Leibniz-Institut. Früher war das LSB die deutsche Anstalt für Lebensmittelchemie. Woran jetzt im LSB geforscht wird, ist eng mit dem Namen »Lebensmittel-Systembiologie« verknüpft.
Die Forschung von Dr. Krautwurst hat zum Inhalt, das komplexe System »riechen« besser zu verstehen. Dazu hat seine Arbeitsgruppe und er zunächst die einzelnen Rezeptoren isoliert, um die Komplexität des Riechens auf seine einzelnen »Bausteine« zu reduzieren. Im Gespräch kommen eine Stichworte vor, hier die Links dazu:
- PCR, Wikipedia-Artikel
- Plasmid, Wikipedia-Artikel
- Allel, Wikipedia-Artikel
- Endocytose, Wikipedia-Artikel
- Cytosol, Wikipedia-Artikel
- Ribosom, Wikipedia-Artikel
- cAMP, Wikipedia-Artikel
- Luciferasen, Wikipedia-Artikel
- DMSO, Wikipedia-Artikel
Geruchsstoff-Mischungen
Gerade für den Kontext von Lebensmitteln ist es auch sehr interessant, Kombinationen aus mehreren Geruchsstoffen zu testen, um zu schauen, welche Rezeptoren darauf reagieren. Dr. Krautwurst erzählt von Beispiel-Kombinationen wie »gebratene Leber« oder »Apfelsaft«. Dabei wurde auch festgestellt, dass manche Geruchsstoffe sich gegenseitig blockieren oder verstärken können.
Die Kombinationsmöglichkeiten sind dabei riesig. Bei den Experimenten stehen zur Zeit im Labor von Dr. Krautwurst 650 Rezeptoren knapp 200 Schlüsselaromastoffen gegenüber. Letztere müssen auch in verschiedenen Mischungen getestet werden und verschiedenen Konzentrationen, so dass diese Aufgabe wirklich nur durch eine Automatisierung wie durch den oben gezeigten Pipetierroboter zu bewältigen ist.
Lebensmittelaromen sind mindestens durch zwei Schlüsselaromastoffe darstellbar (beispielsweise Durian-Frucht). Butteraroma lässt sich bereits mit drei Schlüsselaromastoffen realisieren, Erdbeerduft benötigt 12, Apfelsaft 16, gebratene Leber 20, Rotwein 28 und ein Scotch Whisky mit 40 Schlüsselaromastoffen, jeweils im richtigen Konzentrationsverhältnis. Wesentlich komplexer wird es allerdings nicht – jedenfalls was die täuschend echte Nachempfindung des Geruchs an geht.
Geruchsrezeptoren und Wirkstoffforschung
Ganz neutral betrachtet ist bereits ein Geruchsstoff ein Wirkstoff, da er mit einer bestimmten Spezifiztät an einen Rezeptor bindet.
Es ist bereits bekannt, dass Geruchsstoffe (und auch Geschmacksstoffe), die über die Nahrung aufgenommen wurden, ins Blut gelangen können und dort auch in Kontakt mit diversen Zellen des menschlichen Körpers gelangen können. Ein Beispiel dafür wäre der Geruchsstoff des Knoblauchs, der über mehrere Stunden nach Aufnahme über die Lunge »abgeatmet« wird. So können also auch Geruchsstoffe unter Umständen eine Wirkung auf andere Zellen haben, als auf die Neuronen, die für die Geruchswahrnehmung zuständig sind, schließlich befinden sich die Geruchsrezeptoren auf einer Vielzahl von Zellen im Körper.
Außerdem wird die Bewertung von Gerüchen angesprochen, also wie die Einteilung in angenehm und unangenehm vorgenommen wird. Daraus hofft man dann umgekehrt Vorhersagen treffen zu können, wie eine Duftstoffmischung wahrgenommen werden wird und vielleicht sogar die Lebensqualität von bestimmten Personengruppen zu verbessern. Dr. Krautwurst nennt hier Senioren (der Mensch verliert ca. 1% seiner Geruchsempfindung pro Lebensjahr) oder Krebspatienten (Krebsmendikamente können das Geruchsempfinden teilweise ausschalten) als Beispiele.
Im LSB gibt es auch ein sogenanntes Sensoriker-Panel, also eine Gruppe von Menschen aus den Beschäftigten, die trainiert sind Geruch, Geschmack und noch andere Sinneseindrücke bewerten zu können. Diese Personen treffen sich regelmäßig zum Training beim »Aroma-Tee«, bei dem auch Geruchsschwellen aufgenommen werden. Das ganze findet im Sensorik-Labor des LSB statt.
Projekte zum Thema Geruch
Gut 10 Jahre haben Dr. Krautwurst und seine Arbeitsgruppe daran gearbeitet, die 650 Rezeptoren (siehe oben) zu isolieren und ein passenden Plasmid zu erhalten, damit jeder Rezeptor einzeln in einer Zelle exprimiert werden kann. So haben sie ein Zellsystem etabliert, an dem sehr sehr viele Kombinationen aus Schlüsselaromastoffen und Rezeptoren getestet werden können. Am LSB existiert damit das weltweit sensitivste System im Bereich Geruch und auch die größte Rezeptorsammlung.
Mit Hilfe der Automatisierung soll in den nächsten Jahren auch jedem Rezeptor ein oder mehrere Schlüsselaromastoffe zugeordnet werden – im Gespräch war in diesem Bezug vom »großen Puzzle« die Rede.
Auch die Tatsache, dass Geruchsrezeptoren auch auf anderen Zellen des menschlichen Körpers gefunden wurden, soll weiter untersucht werden. Vermutet wird, dass hier eine Art »gelber Alarm« ausgelöst werden kann, wenn bestimmte Stoffe gegessen werden. Aber diese Forschung befindet sich noch recht am Anfang.
Dr. Krautwurst erwähnt noch einige weitere Projekte, die sich mit vielen direkten Anwendungen beschäftigen, beispielsweise wie bestimmte Stoffe für Übergewichtigkeit bei Kindern mitverantwortlich sein könnten, aber noch einige weitere Beispiele.
Werdegang
Dietmar Krautwurst hat Biologie in Deutschland und der Schweiz studiert. Ihn hat schon immer die Signalweitergabe in Zellen fasziniert, und dies hat ihn seinen kompletten akademischen Werdegang begleitet. Rezeptoren und ihre Bindungspartner spielten also schon früh eine große Rolle für ihn. Seinen Doktor hat er am Pharmakologischen Institut der Freien Universität Berlin gemacht, in der Arbeitsgruppe von Günter Schultz. Danach führte ihn eine Post-Doc Stelle in die USA zur Johns Hopkins nach Baltimore, wo er begann, an Geruchsrezeptoren zu forschen.
Aber auch hier kommt das Gespräch immer wieder auf spannende Projekte mit Bezug zum Geruchssinn oder zu Geruchsrezeptoren.
Dr. Krautwurst ist ausgesprochen glücklich, am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der TU München (LSB) in Freising zu sein. Er sieht die Leibniz-Gemeinschaft als »Ermöglichungsstruktur«, denn dieses lange Projekt mit dem oben erwähnten Zellsystem mit der großen Rezeptorensammlung wäre nach seiner Auffasung in einer anderen Struktur nur schwer möglich gewesen.
Lieblingsmolekül oder Lieblingswirkstoff
Herrn Krautwurst liegen sehr viele Moleküle sehr am Herzen. Aktuell würde er sich auf Moleküle festlegen, an denen er und seine Gruppe gerade aktiv forschen: einmal das Molekül, das für den Pfefferminzgeruch zuständig ist, das (-)Carvon, aber auch die Vielzahl an Süßstoffen, die spannende Effekte auf den menschlichen Körper haben können, neben der Tatsache, dass sie süß schmecken.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei PD Dr. Dietmar Krautwurst für seine Zeit, die Tour durch die Labore, das ganze Material, das er uns zur Verfügung gestellt hat, und all die Fakten und Anekdoten, die er uns erzählt hat.
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