Anwalts-Lehrgeld
Euathlos bekam von Protagoras eine Ausbildung als Anwalt. Die Studiengebühren sollte er erst nach seinem ersten gewonnenen Prozess bezahlen. Doch der junge Mann führte danach einfach keine Prozesse und sah daher auch keinen Grund zur Bezahlung. Protagoras fühlte sich geprellt und verklagte Euathlos auf Bezahlung. Er sagte sich: Wenn das Gericht Euathlos verurteilt zu bezahlen, muss er es tun, und wenn er den Prozess gewinnt, ebenfalls, denn es ist so vereinbart. Euathlos, der im Prozess als eigener Anwalt auftrat, sagte sich dagegen: Wenn das Gericht meint, dass ich nichts bezahlen muss, zahle ich auch nichts, und wenn ich den Prozess verliere, hat Protagoras nach der Vereinbarung keinen Anspruch. Wer hat Recht?
Das Problem wird seit 2 Jahrtausenden (wohl zuerst in Ciceros Academica) als ernstes logisches Problem behandelt. Man betrachtet es als Variante des Lügner-Paradoxes ("Diese Aussage ist falsch"), des Krokodil-Dilemmas (das Krokodil hat ein Kind geraubt und verspricht der Mutter, es genau dann zurückzugeben, wenn diese korrekt errät, was das Krokodil tun wird) oder auch der Russell-Antinomie (Barbier-Paradox), und zwar wegen der anscheinenden Rückbezüglichkeit der Zusammenhänge.
Wenn diese wirklich bestünde, wäre es ein Beispiel dafür, dass solche Rückbezüglichkeiten die Logik außer Gefecht setzen und daher in Verträgen tunlichst zu vermeiden wären. Ich neige aber mehr zu einer (von Wolfgang Lenzen und von W. K. Goossens diskutierten) Lösung, bei der sich alle Probleme in Luft auflösen.Über welchen Tatbestand entscheidet das Gericht eigentlich: den der Vergangenheit oder einen zukünftigen?
Das Gericht entscheidet: Bisher hat Euathlos keinen Prozess gewonnen und muss auch nichts bezahlen. Auf dem Weg aus dem Gerichtssaal sagt Protagoras zu ihm: So, jetzt hast du deinen ersten Prozess gewonnen, und das Geld ist fällig. Notfalls gibt es dazu einen zweiten Prozess.
Damit erweist sich doch noch der Lehrer Protagoras als der Meister, allerdings nur, wenn für ihn die Kosten des (ersten) Prozesses geringer sind als die eingeforderten Studiengebühren, denn die kann er nicht auf den Schüler abwälzen.
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