Bildungspolitik mit Will Rogers
In den Bundesländern Nieder- und Obergermanien sind die Kinder im Mittel gleich schlau. Trotzdem sind in Obergermanien die Gymnasiasten im Mittel schlauer als die in Niedergermanien, aber auch die obergermanischen Hauptschüler sind schlauer als die niedergermanischen. Wie geht das?
Es geht ganz einfach: In Niedergermanien werden die mittelmäßig schlauen Kinder zum Gymnasium geschickt, in Obergermanien in die Hauptschule.
Was raten Sie einer Kultusministerin, die ihre Bilanz aufbessern will, ohne dass eine wirkliche Verbesserung dazu nötig wäre? Sie veranlasst, dass mehr Kinder zur Hauptschule und weniger zum Gymnasium gehen!
Ob diesen Kindern damit geholfen wird, ist durchaus fraglich, aber umgekehrt gibt es auch für eine sinnvolle Öffnung der Gymnasien Grenzen. Es ist (ganz stark vereinfacht gesagt) abzuwägen, wie weit die zusätzliche Bildung der mittleren Gruppe durch eine Absenkung des Spitzenniveaus erkauft werden soll.
Tatsächlich sind die deutschen Bundesländer (und die Parteien) in den letzten Jahrzehnten hier verschiedene Wege gegangen, ebenfalls vereinfacht gesagt: im Süden einen anderen als im Norden. So gehen in Bayern etwa gleich viele Schüler/innen zum Gymnasium wie zur Hauptschule, in Nordrhein-Westfalen aber doppelt so viele. In dem ideologischen Streit spielen dann auch (unbeabsichtigte?) statistische Fehlschlüsse der hier betrachteten Art eine vernebelnde Rolle. Will man den Erfolg der Bildungspolitik eines Landes beurteilen, muss man auf jeden Fall ganze Jahrgänge (über alle Schulformen zusammengenommen) betrachten.
Dass es noch andere Schulformen gibt, ändert hier nichts Grundsätzliches, auch könnte man noch anmerken, dass der Sinn der Gesamtschule ja nicht darin liegt, dass sie neben den anderen drei Sekundarschulen besteht, wie es in der Folge unlogischer Kompromisse geschehen ist, sondern dass sie die anderen eigentlich ersetzen sollte mit der Absicht, Weichenstellungen leichter revidierbar zu machen.
Der Trugschluss wird in der Statistik (soweit er überhaupt erkannt und nicht einfach nur bewusst oder unbewusst benutzt wird) nach dem amerikanischen Komiker Will Rogers benannt. H. P. Beck-Bornholdt und H. H. Dubben diskutieren im Kapitel "sieben vor 8" ihres neuen Buches "Schein der Weisen", wie man damit nicht nur Erfolgsbilanzen aus dem Hut zaubern, sondern auch durch verfeinerte Frühdiagnosen therapeutische Erfolge vortäuschen kann.
Die verschärfte Form läuft unter dem Namen "Simpson-Paradox": In jeder Teilgruppe ist X im Durchschnitt größer als Y (was auch immer X und Y sein mögen), aber im Durchschnitt über die Mitglieder aller Teilgruppen ist Y größer als X.
Eine bösartig-scherzhafte Variante: Wenn jemand aus der Provinz B des Landes D in das Nachbarland A auswandert, so steigt die mittlere Intelligenz in A und in D. Alles klar?
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