Cantor-Menge
Von einer Strecke wird das mittlere Drittel weggenommen. Dann wird von jedem verbleibendem Stück wieder das mittlere Drittel genommen, und das wird "unendlich oft" fortgesetzt.
Die Punkte, die allen übrig bleibenden Stückchen gemeinsam sind, bilden die Cantor-Menge. Ist sie abzählbar (d. h. kann man eine Vorschrift angeben, wie man ihre Punkte nummerieren kann)? Ist die Menge der Endpunkte der Teilstücke abzählbar?
Verwenden Sie Koordinaten zwischen 0 und 1 in einem passend gewählten Zahlensystem.
Wir verwenden sinnvollerweise Zahlen zur Basis 3 ("Ternärzahlen"), also mit den Ziffern 0, 1 und 2. Das Streichen des mittleren Drittels bedeutet, alle Punkte zu streichen, deren Koordinaten an der 1. Stelle hinter dem Komma eine 1 haben, die nächste Streichung (2. und 8. Neuntel) erwischt alle Zahlen mit einer 1 in der 2. Stelle, usw. Es werden also alle Punkte gestrichen, deren Ternärdarstellung irgendwo eine 1 enthält. Es bleiben also die übrig, die nur mit 0 und 2 geschrieben werden.
Diese kann man aber den Binärzahlen (ebenfalls zwischen 0 und 1) zuordnen, in dem man alle Zweien durch Einsen ersetzt und die Ziffernfolgen als Binärzahlen (im Zweiersystem) interpretiert: Das ist aber das volle Kontinuum, also alle reellen Zahlen, zwischen 0 und 1. Die Cantor-Menge enthält also ebenso wie das Kontinuum über-abzählbar viele Punkte. Das ist in gewisser Weise erstaunlich, als die Cantor-Menge ja nun alles andere als kontinuierlich ist.
Die Zahl der Grenzpunkte der einzelnen Abschnitte ist dagegen abzählbar, denn man kann sie offensichtlich für jeden Schritt mit endlich vielen zusätzlichen Nummern bezeichnen (auch wenn man auf Doppelzählung aufpassen muss, was aber hier nicht das Problem ist). In Koordinaten gehören zu ihnen die abbrechenden und die periodischen Ternärbrüche. Sie können (mit eventuellen Problemen der Doppelzählung) bijektiv auf die rationalen Zahlen abgebildet (d. h. einzeln ein-eindeutig zugeordnet) werden. Von diesen gibt es ja auch bekanntlich nur abzählbar unendlich viele.
Die Cantor-Menge ist eng verwandt mit der Teufelstreppe, aber im Gegensatz zu dieser, die nur selbst-affin ist, selbst-ähnlich, d. h. sie besteht aus lauter verkleinerten Abbildern ihrer selbst.
Die schönste Mathe-Vorlesung, die ich gehört habe, hielt Heinz-Otto Peitgen 1995 in Bremen in einer Lehrerfortbildung über Fraktale und Chaos. Darin verleitete er das Auditorium erst einmal zu der falschen Vermutung, die Cantor-Menge sei abzählbar, um es dann umso eindrucksvoller zur richtigen Aussage zu bringen. Als er sich beim Anzeichnen von 9 Kästchen verzählte, konterte er die aufkommende Heiterkeit mit der (selbstbezüglichen) Bemerkung: "Es gibt drei Sorten von Mathematikern: solche, die bis drei zählen können, und solche, die es nicht können."
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