Das Grinsen der Katze
Alice sieht im Baum eine grinsende Katze und etwas später nur noch das Grinsen, ganz ohne Katze. An diese schöne Geschichte (aus Lewis Carolls "Alice in Wonderland") erinnert ein überaus eindrucksvolles sinnesphysiologischen Experiment, das man mit einem ganz alltäglichen Gerät machen kann, nämlich einem Taschenspiegel.
Alice und Conny stellen sich einander gegenüber neben eine weiße Wand, Alice hat die Wand links neben sich und hält mit der rechten Hand einen Taschenspiegel so schräg vor das linke Auge, dass sie mit diesem linken Auge um die Ecke links neben sich auf die Wand schaut, zugleich aber mit dem rechten, ebenfalls offenen Auge Conny ins Gesicht sieht (die rechte Hand darf dabei nicht im Weg sein).
Nun sollte man meinen, dass sie eine Überlagerung aus der Wand und dem Gesicht sehen müsste, aber sie sieht nur das Gesicht, obwohl beide Augen offen sind und sie mit dem linken keineswegs am Spiegel vorbeischaut (sie muss es jedenfalls vermeiden).
Die Situation ändert sich schlagartig, wenn Alice, ohne sonst etwas zu ändern, mit der linken Hand links neben sich wischende Handbewegungen an der Wand macht. Es kommt ihr vor, als würde sie Connys Gesicht wegwischen, aber die Augen (und evtl. auch der Mund) bleiben übrig und stehen geisterhaft ohne Gesicht im Raum (sozusagen das Grinsen ohne Katze).
Was kann man zur Erklärung sagen?
Unser Gehirn mischt nicht einfach die beiden Netzhautbilder, sondern filtert nach vermuteter Wichtigkeit und unterdrückt dabei das weniger wichtige. So ist ein Objekt stets wichtiger als eine leere Fläche, ein belebtes wichtiger als ein totes, ein bewegtes wichtiger als ein ruhendes. An Wichtigkeit nicht zu übertreffen sind aber Augen, die einen ansehen.
So kann es geschehen, dass die bewegte Hand das ruhende Gesicht visuell verdrängt, nicht aber die Augen darin.
So gespenstisch das wirken kann, so zeigt es doch die inhaltsorientierte Bildredaktion des Gehirns.
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