Hemmes mathematische Rätsel: Der betrunkene Mann
Leofric († 1072), der erste Bischof der englischen Stadt Exeter, schenkte der Kathedrale seines Bischofssitzes ein 131 Seiten umfassendes Manuskript, das heute unter dem Namen »Codex Exoniensis« bekannt ist. Die ersten acht Seiten sind verloren gegangen und wurden durch andere ersetzt. Dieser Codex ist die größte noch existierende Sammlung altenglischer Literatur und eines von vier Büchern, die praktisch die ganze erhalten gebliebene altenglische Dichtung umfassen. Er enthält einige Kurzgedichte, die zu den wichtigsten Werken altenglischer Literatur gehören, wie zum Beispiel »The Wanderer«, »The Seafarer«, »Widsith«, »Wulf and Eadwacer«, »The Wife's Lament«, »The Ruin« und »Deor«. Dazu kommen noch einige religiöse Texte und etliche Rätsel mit zum Teil recht schlüpfrigen Andeutungen. Es ist nicht genau bekannt, wann der Codex geschrieben wurde, vermutlich aber entstand er zwischen den Jahren 960 und 990, denn in diesem Zeitraum fand ein Aufstieg der Aktivität und Produktivität der Klöster unter dem neuen Einfluss benediktinischer Prinzipien statt. Gesichert nachgewiesen ist die Existenz des Manuskriptes aber erst ab dem Jahre 1050.
Eines der Rätsel aus dem »Codex Exoniensis« beschreibt eine recht seltsame Familie. Ein Mann sitzt betrunken bei seinen beiden Ehefrauen, seinen beiden Söhnen, seinen beiden Töchtern und seinen beiden Enkeln. Auch sind der Vater des einen Enkels und der Vater des anderen Enkels, ein Onkel und ein Neffe zugegen. Trotzdem wohnen nur fünf Menschen unter dem Dach. Wie ist das möglich?
Das Rätsel greift eine Erzählung aus dem Buch Genesis des Alten Testaments auf. Dort wird gesagt, dass Lot seine beiden Töchter, die ihn betrunken gemacht haben, im Rausch schwängert. Neun Monate später gebären sie die Jungen Moab und Ben-Ammi, die die Stammväter der biblischen Völker Moabiter und Ammoniter werden (1 Mose 19, 30-38). Lot ist darum sowohl der Vater als auch der Ehemann der beiden Frauen, der Vater, der Großvater und der Onkel der beiden Jungen.
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