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Wer war's?: Der Mond in Lochkarten gestanzt

Wer war der frühe Computerpionier?
Bunte Silhoutten verschiedener Köpfe

Erst hetzt Achilles Hektor drei Runden um Troja, dann stellt sich Hektor dem Kampf, verliert und Achilles schleift ihn noch dreimal um »das Grab des Menö­tiaden Patroklos«. Natürlich hat der Gesuchte nicht diese von Homer dokumentierten blutigen Bahnen im Sand im Sinn, als er seine Doktorarbeit über die »All­gemeinen Bahnen des Hector« schreibt: Bei ihm geht es um den Asteroiden (624) Hektor, einen von mehr als 12 000, die auf der Jupiterumlaufbahn um die Sonne kreisen, die so genannten Trojaner.

Durch Schwer- und Fliehkräfte im ­Zusammenspiel mit Jupiter und Sonne unterteilen sich die Trojaner in zwei Gruppen oder Lager: das »griechische« und das »trojanische«. Im Jahr 1906 ­werden die ersten Trojaner entdeckt: (588) Achilles, im griechischen Lager, und (617) Patro­clus, auf Seiten der Trojaner. Im Jahr darauf kommt ein Grieche dazu: (624) Hektor. Etwa ein Vierteljahrhundert später veröffentlicht der Gesuchte eine Doktorarbeit über den seltsam länglich geformten ­Koloss – von dem man heute im Übrigen weiß, dass er sogar einen Mond besitzt.

Damit qualifiziert sich der Sohn einer Bauernfamilie für eine Tätigkeit am astronomischen Institut der Columbia University. Zeit seines Forschungslebens ist er fasziniert von Computern – nicht menschlichen, sondern elektromecha­nischen: Mit Lochkartenrechnern versucht der junge Astronom, die Bahnbe­wegungen von Objekten genauer und schneller zu berechnen als bisher.

Die führenden Experten für Lochkarten sitzen in dieser Zeit bei der Inter­national Business Machines Corporation (IBM) – und so überredet der Gesuchte ­angeblich den Konzern zur Spende eines Rechners, der nicht nur Addieren, sondern auch Multiplizieren kann. Sicher ist, dass der Gesuchte im Jahr 1933 ein Labor (später: Astronomical Computing Bureau) zur Lösung allerlei astronomischer ­Rechenaufgaben initiiert und leitet, und dass das Bureau ein Joint Venture wird: Es wird zu gleichen Teilen von der Columbia University, der American Astronomical Society und IBM unterhalten.

Sicher ist auch, dass er bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Leitung des Nautical Almanac Office des United States Naval Observatory übernimmt und weiter mit Hilfe von Lochkarten, Relais und Elektronenröhren alles berechnet, was uns im Weltall so umrundet. Im Jahr 1940 ver­öffentlicht er den Titel »Punch Card Me­thods in Scientific Computation«, ein Meilenstein der Lochkartenliteratur. Nach dem Krieg wechselt der Gesuchte für 23 Berufsjahre an das Watson Scientific Computing Laboratory, ein Forschungsinstitut von IBM, wo er mehreren Urformen elektronischer Rechner zur ­Geburt verhilft. Einer dieser Rechen­saurier, der »Selective Sequence Electronic Calculator«, berechnet mit Hilfe von 12 500 Röhren und 21 400 Relais vor allem die Position des Mondes.

Jahrzehnte hindurch verfeinert der ­Astronom die Methoden dafür und baut größere, bessere, schnellere Maschinen. Auch wenn er zwischendurch Asteroiden und Planeten ins Visier nimmt, immer wieder kehrt er zu einer Kernaufgabe zurück: der Berechnung der Position des Mondes – wofür nämlich, wenn man es genau nimmt, mindestens 1500 trigonometrische Funktionen zu evaluieren sind. Ohne die genauen Rechenergebnisse und Simulationen des Gesuchten wäre vielleicht sogar die Mondlandung daneben gegangen.

Beim Rechnen fällt dem Astronomen übrigens auch auf, dass der Mond keine homogene Steinkugel sein kann. Er sagt voraus, dass sich unter der Oberfläche mal dichtere, mal weniger dichte Gesteine ­befinden müssen. Und tatsächlich: Dichtere Partien, so genannte Mascons, lassen sich tatsächlich im Mondboden finden.

Es war Wallace Eckert (geboren am 19. Juni 1902 in Pittsburg, Pennsylvania, gestorben am 24. August 1971 in Englewood, New Jersey). Eckert entstammte einer Bauernfamilie. Im Jahr 1931 promovierte er in Yale bei Ernest Brown über The General Orbit of Hector. Ab 1926 lehrte er an der Columbia University, zuletzt auf einer Professur für Himmelsmechanik, und arbeitete bis 1940 am astronomischen Institut der Universität. Im Jahr 1933 initiierte er hier ein Labor für automatisierte wissenschaftliche Berechnungen mit einem Lochkartenrechner. Vier Jahre später wurde das Labor in das »Thomas J. Watson Astronomical Computing Bureau« umgeformt, als ein Joint Venture der Universität, der American Astronomical Society und der International Business Machine Corporation (IBM).

Im Jahr 1940 übernahm Eckert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Leitung des Nautical Almanac Office des United States Naval Observatory; während des Krieges produzierte diese Einrichtung für die US-Streitkräfte Himmelskarten und -tafeln zur Navigation. Im selben Jahr publizierte er auch sein Buch Punch Card Methods in Scientific Computation. Nach dem Krieg ging Eckert direkt in eine Forschungsabteilung von IBM, das Watson Scientific Computing Laboratory, behielt dabei aber weiter seine Professur. Bei IBM berechneten er und sein Team 1948 erstmals mit Computerhilfe die Position des Erdmondes, mit einem Rechner aus 12 500 Elektronenröhren und 21 400 mechanischen Relais. Der Speicher dieses Selective Sequence Electronic Calculator (SSEC) bestand im Wesentlichen aus 66 Papierbändern und einem RAM aus einem Röhrenspeicher mit acht und einem Relais-Speicher mit weiteren 150 »Wörtern« Kapazität; ein »Wort« ist hierbei eine 19-stellige Ganzzahl mit Vorzeichen.

Im Jahr 1951 publizierte Eckert ein weiteres Buch, Coordinates of the Five Outer Planets. In den 1950er und 1960er Jahren arbeitete er kontinuierlich weiter an der Verbesserung der maschinellen Bahnberechnungen von Mond und Planeten und wurde so zu einem modernen Pionier des wissenschaftlichen Rechnens in der Astronomie. Für den Mond benutzte er mathematische Modelle seines Doktorvaters Ernest Brown, die auf der Auswertung von 16 500 trigonometrischen Ausdrücken basierten. Schwankungen der Mondbahn konnte Eckert so bis auf wenige Zentimeter genau berechnen. Im Jahr 1967 verließ er IBM aus Altersgründen, drei Jahre später emeritierte er an der Columbia University.

Wallace John Eckert (1902 – 1971) | Mit nach heutigen Vorstellungen vorsintflutlichen, mit Lochkarten gesteuerten Computern, konnte Eckert unter anderem die Bahn des Mondes sehr genau bestimmen.

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