Die Vegetationskarte
Florian Blume, Biologielehrer am Humboldt-Gymnasium, möchte ein Büchlein schreiben über Pflanzengeografie und sucht dazu nach einer flächentreuen Erdkarte, auf der Orte mit gleicher geografischer Breite waagerecht nebeneinander abgebildet werden. Wie kann man sie konstruieren?
Man kann alle Meridiane als senkrechte Geraden und alle Breitenkreise als waagerechte zeichnen. Der Maßstab muss dabei vom Äquator zu den Polen derart gleitend kleiner werden, dass jede Masche des Gradnetzes mit dem richtigen Flächeninhalt erscheint, natürlich zu Lasten des dann nicht mehr treuen Seitenverhältnisses. Erstaunlicherweise geht das sehr einfach, indem man für jeden Breitenkreis als Abstand vom Äquator auf der Karte den Abstand der Breitenkreisebene von der Äquatorebene nimmt. Kann man das leicht einsehen?
Die flächentreue Zylinderkarte mit verzerrungsfreiem Äquator ist nach Archimedes und nach Lambert benannt.
Die Formel für die Abstände zwischen Längengrad \(x\) und Breitengrad \(y\) beträgt: \(x=R\cdot\lambda\) und \(y=R\cdot\sin\beta\), mit Erdradius \(R\) und geographischer Länge \(\lambda\) und geographischer Breite \(\beta\).
Auf diesen Karten sind die mathematischen Klimazonen, also die Bereiche zwischen Wendekreisen und Polarkreisen, verschieden gefärbt.
Die Speichenellipsen (Tissot-Indikatrizen) sind stark vergrößerte Bilder von kleinen Kreisscheiben, die man sich auf dem Erdboden liegend vorstellen soll. Die verzerrten Bilder der Speichenkreise zeigen, dass die Abbildung flächentreu und verzerrt ist, nur am Äquator nicht.
Fluglinien erscheinen wie Umwege gekrümmt:
Man kann die Erde auch vorher etwas kippen, bevor man sie auf den Zylindermantel abbildet:
Wir kehren wieder zu der normalen Version mit einer horizontalen Geraden als Bild des Äquators zurück.
Herr Blume findet, dass Mitteleuropa und erst recht die Polargebiete zu stark verzerrt sind. Kann man das vernünftig ändern? Ja.
Man nimmt die Lambert-Karte und streckt sie in Nord-Süd-Richtung um einen bestimmten Faktor. Dadurch werden zwei Breitenkreise verzerrungsfrei, und die Zone dazwischen mit dem Äquator darin bekommt nun eine (nicht sehr starke) Verzerrung im umgekehrten Sinn wie die nördlichen und südlichen Zonen, aber schwächer als zuvor. Insgesamt haben wir damit schwächere Verzerrungen und bei einer bestimmten (nördlichen und südlichen) Breite gar keine.
Diese flächentreue Zylinderkarte ist in der Kartografie nach dem Geografen Walter Behrmann (1882–1955) benannt. In jüngeer Zeit hat auch der Historiker Arno Peters (1916–2002) einen Atlas aus Teilen einer solchen Karte herausgebracht. Unsinnigerweise optimiert er aber nicht die einzelnen Karten auf minimale Verzerrung, sondern schneidet sie unverändert aus einer Erdkarte.
Eine ähnliche Unsitte findet man oft in Fernsehnachrichten: Als Karte von Spanien wird eine Ecke einer Europa-Karte gezeigt, bei der Norden rechts oben ist.
Lehrreich im Sinne einer Warnung vor dem Eurozentrismus bleibt immerhin im Peters-Atlas die eindringliche Erinnerung daran, wie klein die uns vertrauten dicht besiedelten Gebiete im Vergleich zu mancher Halbwüste sind. Auf der anderen Seite ist es aber durchaus nicht sinnlos, feinstrukturierte Gebiete genauer zu zeigen als nahezu unbewohnte. Zum Glück gibt es kein Biologiebuch von Peters, in dem Ameisen und Wale im gleichen Maßstab abgebildet wären.
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