Ein Parallelogramm voller Merkwürdigkeiten
Vor etwa 2,5 Jahrhunderten fand Leonhard Euler, dass 3 der 4 seit der Antike als merkwürdige Punkte des Dreiecks angesehenen Punkte stets auf einer Geraden liegen, nämlich der Höhenschnittpunkt Hö, der Schwerpunkt Gr und der Umkreismittelpunkt Um,
und dass sich die Strecken HöGr:GrUm wie 2:1 verhalten.
Der Inkreismittelpunkt In steht stets dabei sozusagen abseits, wenn nicht bei besonderer Symmetrie alle "Mittelpunkte" in die Symmetrieachse (nämlich beim gleichschenkligen Dreieck) oder gar in einen einzigen Mittelpunkt fallen (was ihnen genau beim gleichseitigen Dreieck nicht anders übrig bleibt).
Jeder Punkt, dessen Lage von den Lagen der Ecken eines Dreiecks bestimmt ist und von nichts sonst und dabei auch alle Ecken gleich berechtigt, ist in einem verallgemeinerten Sinn ein Mittelpunkt des Dreiecks, denn er fällt im gleichseitigen Dreieck in dessen eindeutige Mitte. In der Neuzeit kam zuerst der 1. (Fermat-)Torricelli-Punkt dazu, im 19. Jahrhundert dann vor allem der Mittelpunkt Ne des (auch nach Feuerbach benannten) Neunpunkte-Kreises.
Er liegt bekanntlich in der Mitte von Hö und Um. (Ich verwende hier Symbole aus je zwei Buchstaben, die man nur gar nicht oder richtig verstehen kann).
Inzwischen findet man auf einer Website von Clark Kimberling Tausende von Mittelpunkten mit noch mehr Querbeziehungen, von denen allerdings nicht in allen Fällen eine eigenständige Bedeutung erkennbar ist. Einige davon bilden aber mit den Punkten der Euler-Geraden zusammen ein Parallelogramm, das für mich die Krönung der Geometrie des ebenen Dreiecks ist. Dazu folgende Details:
Der Nagel-Punkt Na ist der Schnitt der Ecktransversalen zu den Punkten, die von je einer Ecke aus den Umfang des Dreieckcs halbieren und an denen (darum) die Ankreise das Dreieck berühren.
Der Spieker-Punkt Sp ist der Inkreismittelpunkt des Dreiecks aus den drei Seitenmittelpunkten. Zugleich ist Sp der Schwerpunkt der Umfangslinie (denken Sie an ein Drahtmodell des Dreiecks). Sp halbiert die Strecke InNa, Gr teilt sie wie InGr:GrNa = 1:2. Die Spieker-Gerade InSpNa kreuzt also die Euler-Gerade im Schwerpunkt Gr.
Nun kann man aus den bisherigen 7 Punkten eine Strahlensatz-Figur bauen, aber es kommt noch besser:
Das Dreieck aus den Ankreismittelpunkten hat einen Umkreismittelpunkt Ue, und erstaunlicherweise liegt Um (der Umkreismittelpunkt des ursprünglichen Dreiecks) in der Mitte von In und Ue.
Auch die Mitte von Hö und Na hat einen Namen und eine Besonderheit:
Es ist der Mittelpunkt Fu des Fuhrmann-Kreises. Dieser hat HöNa als Durchmesser (was an sich nicht erstaunlich wäre, so ist Fu schließlich definiert), aber er geht auch durch die Spiegelpunkte der Mitten der drei Umkreisbögen an den Seitenmitten.
Schließlich gibt es noch den Longchamps-Punkt Lo, der am einfachsten als Höhenschnittpunkt des um Gr im Maßstab –2:1 gestreckten Dreiecks bezeichnet wird.
Was kann man nun alles über die Figur aus den zehn besonders merkwürdigen Punkten aussagen?
Aus den angegebenen Koinzidenzen finden wir diese Figur:
Sie enthält zwei Scharen von Parallelen und darin als Diagonalen die Euler-Gerade (durch Hö, Ne, Gr, Um und Lo) und die durch In, Gr, Sp und Na gehende Gerade, die wir oben als Spieker-Gerade eingeführt haben.
Dieses Bild wird im Folgenden in die bisherigen Bilder eingeblendet:
Was kann man über die Lage dieser 10 Punkte aussagen, wenn das Dreieck spitz, rechtwinklig oder "extrem" stumpf (also "stumpfer" als das bisher gezeigte) ist, wie wirkt sich Symmetrie (Gleichschenkligkeit, Gleichseitigkeit) aus, welche Punkte liegen immer im Inneren, welche manchmal (wann?) auf dem Rand?
Im Grenzfall mit einem sehr stumpfen (fast gestreckten) Winkel liegen nur noch die Punkte der Spieker-Geraden In, Gr, Sp und Na im Inneren, jeder davon aus sehr gut einleuchtenden Gründen.
Im spitzwinkligen liegt zumindest der "klassische Teil" der Eulergeraden (von Hö bis Um) im Inneren (warum?):
Der Grenzfall zwischen beiden ist das rechwinklige Dreieck, bei dem Hö mit einer Ecke zusammenfällt und Um mit der gegenüberliegenden Seitenmitte:
Bei Symmetrie fallen die Spieker- und die Euler-Gerade zusammen in die Symmetrieachse;
Beim rechtwinklig-gleichschenkligen Dreieck sieht es folglich so aus:
Das vollkommen symmetrische, also gleichseitige Dreieck hat hingegen nur einen einzigen Mittelpunkt. Es merkt also nichts von der Schönheit der 10 merkwürdigen Punkte und ihren Symmetriebeziehungen. Symmetrie kann auch Armut sein!
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