Ein regnerischer Planet
Ein Planet ist fast kugelförmig, aber einige Gipfel ragen heraus. Wie auf der Erde gibt es eine Flüssigkeit, die regnet und dann bergab fließt, aber die Seen sind klein und füllen ihre Täler nicht aus, sondern verdunsten hinreichend stark. (Auf der Erde ist das bekanntlich anders: die meisten Täler bilden gemeinsam das zusammenhängende Meer.)
Zwischen den Gipfeln gibt es Linien, zu deren Seiten die Flüssigkeit in verschiedene Richtungen abfließt, sie heißen Wasserscheiden. So gibt es durch Europa eine Wasserscheide (teilweise auf dem Kamm der Schwäbischen Alb, aber auch kreuz und quer durch den Schwarzwald und mitten durch die Stadt Villingen-Schwenningen), die die Einzugsgebiete von Rhein und Donau trennt und damit das des Mittelmeers (mit dem angeschlossenen Schwarzen Meer) von dem des restlichen Atlantischen Ozeans (und seines Randmeers Nordsee). Bei Gibraltar ist aber das alles wieder miteinander verbunden. Anders ist es bei der Wolgaplatte in Russland zwischen Wolga und Don: Der Don fließt in das Schwarze Meer und damit in ein Randmeer des Atlantik, die Wolga dagegen in den Kaspi-See, der ein Binnensee ist (und darum nicht Kaspisches Meer genannt werden sollte). Was sich da trennt, trifft sich frühestens nach dem Verdunsten wieder (à propos verdunsten: Der Aralsee ist seit einigen Jahrzehnten auf dem schlechtesten Wege, von der Landkarte zu verdunsten).
Wieder zurück zu dem Planeten mit den getrennten Tälern: Wie viele Gipfel und wie viele Talsenken (d. h. Einzugsgebiete von je einem See) gibt es auf ihm, wenn es 12 bzw. wenn es 30 oder 6 Wasserscheiden gibt? Gibt es zwischen den drei Zahlenangaben eine feste Beziehung?
Im einfachsten Fall hat der Planet 1 Gipfel und 1 Einzugsgebiet, dann hat er aber natürlich keine Wasserscheide. Mit 2 Gipfeln und 2 Gebieten hat er 2 Wasserscheiden. Wenn wir nun einen zusätzlichen Gipfel einbauen, gibt es auch ein neues Einzusgebiet und zwei neue Wasserscheiden. Die Summe aus der Zahl der Gipfel und der der Einzusgebiete ist also stets um 2 größer als die Zahl der Wasserscheiden.
Das ist Eulers Polyedersatz, denn wir können topologisch die Gipfel als Ecken, die Einzugsgebiete als Flächen und die Wasserscheiden als Kanten eines Polyeders betrachten.
Ein Planet mit 8 Gipfeln ähnelt somit einem Würfel und hat 12 Wasserscheiden und 6 Einzugsgebiete. Die Animation zeigt einen würfelförmigen Planeten, der periodisch überschwemmt wird und wieder austrocknet:
Seine Gipfel sind dann zeitweise Inseln, nämlich wenn die Seen zu einem Meer zusammenwachsen.
Auch ein Planet mit 6 Gipfeln und 8 Einzugsgebieten hat 12 Wasserscheiden, er sieht dann topologisch wie ein Oktaeder aus. Wir können ihn durch Umbau aus dem würfelähnlichen herstellen, indem wir Gipfel gegen Talmitten und umgekehrt tauschen, also sozusagen das Äußere nach innen kehren und umgekehrt. Die neuen Wasserscheiden sind dann genau so zahlreich, aber laufen in etwa quer zu den alten, und ihre Pässe (die Stellen, an denen sie dem Mittelpunkt des Planeten am nächsten sind) bleiben (ungefähr) erhalten.
Für die Umwandlung eines richtigen Würfels in ein regelmäßiges Oktaeder kann man das genauer sagen: Es gibt eine Kugel durch die 12 Pässe (also die Mittelpunkte der Kanten), die diese Kanten berührt. Nun drehen wir einfach jede Kante um 90 Grad in ihrer jeweiligen Berührebene und ändern ihre Länge so, dass es wieder Ecken gibt, aber jetzt sind es nur 6 Ecken, aber dafür 8 (dreieckige) Flächen.
Mit der gleichen Vorschrift kommen wir vom Oktaeder wieder zurück zum Würfel. Man sagt: Diese beiden Polyeder sind (daher) dual zueinander. Insbesondere haben zueinander duale Polyeder die gleiche Zahl von Kanten, aber die Zahlen der Ecken und die der Flächen sind vertauscht.
30 Wasserscheiden haben wir auf Planeten, die entweder dem Dodekaeder oder Ikosaeder ähneln (die zueinander dual sind), 6 auf tetraederähnlichen (das Tetraeder ist dual zu sich selbst, aber in spiegelbildlicher Lage).
Bemerkungen zu den Wörtern "See" und "Meer": Im Deutschen ist das Meer die Gesamtheit der Ozeane und ihrer Randmeere (Nordpolarmeer, Nordsee, Ostsee, Mittelmeer etc.), ein See ist dagegen ein Binnengewässer, das allerdings auch von einem Fluss in Richtung Meer durchflossen werden kann (Bodensee). Der Meeresbiologe befasst sich also mit dem Leben in den Ozeanen. Die geografischen Namen und viele Redewendungen richten sich allerdings nicht immer danach (Nordsee, Ostsee, Steinhuder Meer, Dümmer, "zur See fahren", Hochseeschifffahrt (womit nicht der Tegernsee oder der Titicacasee gemeint ist)). Im Niederländischen ist es umgekehrt: "Meer" ist dort der Binnensee (z.B. Ijsselmeer seit der Eindeichung (an der übrigens Hendrik Antoon Lorentz führend beteiligt war), vorher Zuiderzee, als es noch ganz salzig war).
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