Gold mit Zinseszinsen?
Karl der Große hat vor 1200 Jahren einem Ihrer Vorfahren eine goldene Kugel mit 1 cm Durchmesser geschenkt (so weit schon eher unwahrscheinlich). Nun hat dieser ihn auf ein Sparbuch bei der Allgemeinen Fränkischen Sparkasse auf ein Konto mit 6 Prozent jährlichen Zinsen eingezahlt, und Sie haben das Sparbuch geerbt und wollen morgen früh den jetzt etwas größeren Goldklumpen abholen.
Wir nehmen an, dass der Goldpreis seitdem nicht gestiegen und auch nicht gefallen ist. Wie groß ist der Klumpen?
Wenn der Goldpreis und der Zinsfuß stabil geblieben sein sollten (kann doch sein, oder?), muss der Goldklumpen, der jeweils dem Sparguthaben gleichwertig ist, jedes Jahr um 6 Prozent im Volumen, also rund 2 Prozent im Durchmesser zunehmen. Dass Goldklumpen selbst wachsen wie Bakterienkolonien, nehmen wir natürlich nicht an, so naiv sind wir denn doch nicht.
2 Prozent Zuwachs (an Radius oder Durchmesser) pro Jahr bedeutet, wie man leicht am Taschenrechner ablesen kann, in 35 Jahren eine Verdopplung oder in 115 Jahren eine Verzehnfachung. Das spricht eigentlich sehr für das Sparen.
Aber wenn der Durchmesser alle 115 Jahre um den Faktor 10 größer wird, so müsste der Goldklumpen inzwischen größer als die ganze Erde sein. Wo ist der Fehler?
Zunächst einmal ist klar, dass die Verzinsung von Sparguthaben im Laufe der Jahrhunderte immer wieder durch politische oder wirtschaftliche Katastrophen nicht nur unterbrochen, sondern auch weitgehend rückgängig gemacht wurde. Wir wollen uns einmal vorstellen, ein Kulturkreis hätte es hingekriegt, jahrtausendelang stabil und frei von Katastrophen zu überstehen (das Oströmische Reich war nahe daran, abgesehen von Überfällen durch Kreuzzüge und Venezianer). Die Wirtschaft müsste nachhaltig (kein Raubbau!) und nahezu wachstumsneutral sein, jedenfalls nach Erreichung einer gewissen Sättigung. Ist nun zu erwarten, dass es dort auch keine Zinsen und keine Inflation gibt? Irgendwie muss das Verleihen von Geld belohnt werden – oder wird es abgeschafft? Wenn das Verleihen belohnt wird und der Reallohn trotzdem auch langfristig fast unverändert bleibt, läuft das auf eine Bestrafung des Nichtverleihens hinaus: Geldscheine und Münzen verlieren ständig an Wert, während der Realwert von verliehenem Kapital gleich bleibt.
Ich verstehe leider zu wenig von Wirtschaft, um zu beurteilen, ob ein solches statisches System überhaupt funktionieren kann (andererseits bin ich sicher, dass unser gegenwärtiges dynamisches System nicht langfristig geht, es ist in erdgeschichtlichem Maßstab nur ein kurzes Feuerwerk). Falls es funktionieren sollte, ist es ein Modell für das Ergebnis: Der Nennwert im Sparbuch erreicht über störungsfreie Jahrhunderte astronomische Werte (so wie in Deutschland bei der Hyperinflation von 1923 in wenigen Monaten), der Realwert und die Größe von entsprechenden Goldklumpen bleiben dagegen überschaubar.
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