Isogonale Abbildung und Symmedian
Einem beliebigen Punkt \(P_0\) innerhalb eines (beliebigen) Dreiecks kann man einen Bildpunkt zuordnen, indem man die Verbindungslinie von \(P_0\) zu der Ecke \(A\) an der Winkelhalbierenden durch \(A\) spiegelt, ebenso für die Ecken \(B\) und \(C\), und den gemeinsamen Schnittpunkt der drei gespiegelten Linien nimmt. Zeigen Sie bitte, dass sie sich wirklich in einem gemeinsamen Punkt treffen.
Nehmen Sie den Satz von Ceva und mehrere Anwendungen des Sinussatzes in diesem Bild:
Die gestrichelte Linie ist eine Winkelhalbierende in dem Dreieck \(ABC\). \(AP\) und \(AQ\) liegen symmetrisch zu ihr, insbesondere gilt \(\angle PAB = \angle QAC\).
Beim Satz von Ceva geht es um die Teilungsverhältnisse der Seiten des Dreiecks. Wenn für den Punkt \(P_0\) auf \(AP\) die Seite \(BC\) im Verhältnis \(BP:PC\) geteilt wird, so wird sie von der gespiegelten Geraden wie \(BQ:QC\) geteilt.
Wir wollen nun sehen, wie \(BQ:QC\) von \(BP:PC\) abhängt. Dazu schreiben wir die Abschnitte mit Sinusfunktionen, indem wir den Sinussatz in verschiedenen Dreiecken anwenden, die alle eine Ecke in \(A\) haben:
\[ \eqalign{ BP &= AP {\sin(\angle PAB)\over \sin(\angle ABC)}\cr PC &= AP {\sin(\angle PAC)\over \sin(\angle ACB)}\cr BQ &= AQ {\sin(\angle BAQ)\over \sin(\angle ABC)}\cr QC &= AQ {\sin(\angle QAC)\over \sin(\angle ACB)}} \]Nun gilt
\[ \eqalign{\sin(\angle PAB) &= \sin(\angle CAQ) = {BP\over AP} \sin(\angle ABC) \; {\rm und}\cr \sin(\angle PAC) &= \sin(\angle BAQ) = {PC \over AP} \sin(\angle ACB).}\]Der gesuchte Zusammenhang berechnet sich daraus zu
\[{BQ\over QC} = {PC\over BP} {\sin^2(\angle ACB)\over \sin^2(\angle ABC)}, \] und unter Benutzung des Sinussatzes (\(\sin(\angle ACB)/\sin(\angle ABC) = AB/AC\)) finden wir \[{BQ \over QC} = \left({AB\over AC}\right)^2{BP\over PC}.\]\(Q\) teilt \(AB\) also nicht einfach im umgekehrten Verhältnis wie \(P\), sondern es kommt noch das Quadrat des Verhältnisses der anderen beiden Dreiecksseiten hinein.
Setzen wir das nun im Satz von Ceva ein, so kürzen sich diese Dinge "rundherum" wieder heraus. Etwas ausführlicher:
Die Geraden \(AP_0\), \(BP_0\) und \(CP_0\) schneiden die Gegenseiten in den drei Punkten \(P_a\), \(P_b\) und \(P_c\) (wir haben bisher einen davon einfach \(P\) genannt, nämlich \(P_a\)). Nach dem Satz von Ceva ist nun \[{BP_a \over P_a C}\cdot{CP_b \over P_b A}\cdot {AP_c \over P_cB} =1. \] Nun ersetzen wir die \(P_i\) durch ihre jeweiligen Spiegelbilder \(Q_i\) und bekommen die neuen Teilungsverhältnisse, deren Produkt wieder 1 ergibt, und das heißt nach der Umkehrung des Satzes von Ceva, dass auch die neuen Ecktransversalen wieder einen gemeinsamen Schnittpunkt haben. Nennen wir ihn \(Q_0\).
Können Sie nun ein zeichnerisches Rezept angeben, wie man zu einem beliebigen Punkt in Bezug auf ein beliebig vorgegebenes Dreieck den isogonalen Bildpunkt konstruieren kann? Tipp: Umkreis und Umfangswinkelsatz!
Das Dreieck und \(P_0\) als Schnittpunkt der blauen Geraden (Ecktransversalen) seien gegeben. Wir zeichnen den Umkreis und diese Ecktransversalen bis zu ihren Schnittpunkten mit dem Umkreis. Durch diese ziehen wir dann die Parallelen zu den jeweiligen Dreiecks-Seiten und finden neue Schnittpunkte mit dem Umkreis, und die (roten) Ecktransversalen zu diesen treffen sich im isogonalen Bildpunkt, nach dem, was wir bewiesen haben, wobei der Umfangswinkelsatz dafür sorgt, dass die richtigen Winkel jeweils paarweise gleich sind (markiert durch gleiche Farben).
Die grünen Ecktransversalen zu den Mitten der Umkreis-Bögen sind die Winkelhalbierenden des Dreiecks und treffen sich daher im Inkreismittelpunkt. Dieser ist, wie nun leicht einzusehen ist, sein eigenes isogonales Abbild.
Auch die zeichnerische Konstruktion zeigt deutlich, dass Isogonalität eine "involutorische" Relation ist, d. h. wenn \(P_0\) zu \(Q_0\) isogonal ist, ist es auch \(Q_0\) zu \(P_0\), jeweils bezüglich des gleichen Dreiecks, versteht sich.
Das folgende Bild zeigt einige Eigenschaften der isogonalen Abbildung: Die Ebene gliedert sich mit den Seiten und ihren Verlängerungen, den Winkelhalbierenden und dem Umkreis in 12 Paare von Gebieten, die jeweils wechselseitig aufeinander abgebildet werden.
Insbesondere wird das Innere des Dreiecks als Ganzes auf sich abgebildet. Die Mittelpunkte der Ankreise und des Inkreises sind Fixpunkte, d. h. sie werden jeweils auf sich selbst abgebildet. Insbesondere für den Inkreismittelpunkt ist das sehr leicht einzusehen. Die Abbildung ist aber nicht überall umkehrbar eindeutig, denn die Ecken des Dreiecks werden jeweils auf alle Punkte der Gegenseite (und von deren Verlängerung!) abgebildet.
Nach der etwas umständlichen Rechnerei fällt uns nun ein besonderer Punkt sozusagen in den Schoß: Es ist der nach Grebe oder nach Lemoine benannte Punkt, der das isogonale Bild des Schwerpunktes ist.
Wie teilen seine Ecktransversalen die Seiten?
Der Schwerpunkt ist bekanntlich der Schnittpunkt der Seitenhalbierenden, für den also im Ceva-Satz lauter Verhältnisse 1:1 stehen. Sein isogonales Bild ist also der Schnittpunkt der Ecktransversalen zu den Punkten, die die Seiten des Dreiecks im Verhältnis der Quadrate der anderen Seiten teilen. Da die Seitenhalbierenden auch als Mediane bezeichnet werden, werden seine Spiegelungen an den Winkelhalbierenden als Symmediane bezeichnet. Der Grebe-Lemoine-Punkt wird daher auch "Symmedianpunkt" genannt.
In dieser Abbildung ist \(G\) der Schwerpunkt des Dreiecks, \(U\) der Umkreismittelpunkt und \(L\) der Grebe-Lemoine-Punkt, also der Symmedianpunkt. (Donath schreibt im Namen Émile Lemoine den Akzent beharrlich in den Familiennamen, vielleicht weil er selbst Emil – ohne Akzent – heißt und irgendwie behalten hat, dass in französischen Namen Akzente nicht selten sind.)
Es sei noch erwähnt, dass wir in einer anderen Aufgabe (ohne die meisten der hier benötigten Hilfssätze) zeigen können, dass Höhenschnittpunkt und Umkreismittelpunkt zueinander isogonal sind.
Es geht noch weiter: Durch die isogonale Abbildung wird die Kiepert-Hyperbel, auf der mehrere merkwürdige Punkte des Dreiecks liegen, in eine (nach Apollonios benannte) Gerade transformiert (igGr bedeutet im Bild: isogonaler Bildpunkt zum Punkt Gr usw.)
Und die Euler-Gerade durch Umkreismitte und Höhenschnittpunkt, auf der auch der (Ecken- und Flächen-) Schwerpunkt und die Mitte des Neunpunktekreises liegen, wird auf eine Hyperbel abgebildet, die ihrerseits nach Jerabek benannt ist:
Schließlich ist hier noch eine rechtwinklige Umhyperbel durch den Höhenschnittpunkt zu sehen, die nämlich auch noch durch den Inkreismittelpunkte und die Punkte von Gergonne und von Nagel geht. Ihr Mittelpunkt (d. h. Schnitt der Asymptoten) ist der von Feuerbach entdeckte Schnittpunkt von Inkreis und Neunpunktekreis. Auch diese Hyperbel ist isogonal zu einem Durchmesser des Umkreises, und zwar zu dem, der auch noch durch den Inkreismittelpunkt geht.
Im rechtwinkligen Dreieck sind die Dinge besonders einfach: Wo ist dort der Grebe-Lemoine-Punkt?
Wie leicht an den Winkeln in den beiden zueinander ähnlichen Dreiecken zu sehen ist, liegt der Grebe-Lemoine-Punkt des rechtwinkligen Dreiecks in der Mitte der Höhe über der Hypotenuse.
Nun wird eine andere Abbildung bezüglich eines Dreiecks betrachtet, bei der der Verdacht einer engen Beziehung zu der hier bisher behandelten isogonalen auftaucht:
Man wählt irgendein Dreieck und einen Punkt (hier rot markiert, nicht auf seinem Umkreis) und fällt von ihm aus die Lote auf die Seiten oder deren Verlängerungen. Durch diese Fußpunkte wird nun der Kreis gezeichnet und führt zu drei neuen Schnittpunkten, von denen aus drei neue Lote errichtet werden. Warum treffen sich diese in einem gemeinsamen Punkt?
Auch hier ein Tipp: Wo ist der Mittelpunkt des Kreises?
Wir spiegeln den roten Punkt am Mittelpunkt des Kreises und finden dort einen Punkt, durch den wegen der Symmetrie zu den Sehnen des Kreises die neuen Lote gehen müssen.
Dass der Startpunkt nicht auf dem Umkreis des Dreiecks liegen soll, hat seinen Grund darin, dass dann die Fußpunkte [nicht auf einem Kreis, sondern] auf einer Geraden liegen, die von Wallace gefunden wurde und aus unerfindlichen Gründen nach Simson benannt ist. Diese Gerade schneidet anders als ein Kreis die Seiten nicht noch (je) ein zweites Mal, auch nicht deren Verlängerungen.
Was gibt es, wenn man als (roten) Startpunkt den Höhenschnittpunkt, den Umkreismittelpunkt, den Inkreismittelpunkt oder einen der drei Ankreismittelpunkte nimmt?
Wenn man mit dem Höhenschnittpunkt beginnt, ist der Kreis der (auch nach Feuerbach benannte) Neunpunktekreis, und symmetrisch zu dessen Mittelpunkt liegt der Umkreismittelpunkt. Das geht natürlich auch umgekehrt.
Mit dem Inkreismittelpunkt oder einem der drei Ankreismittelpunkte bekommen wir jeweils einen Kreis, der die Seiten oder ihre Verlängerungen berührt, und wir landen wieder beim Startpunkt.
Die in der Aufgabe beschriebene Zuordnung eines Punktes zu einem vorgegebenen bezüglich eines Dreiecks kann als Abbildung aufgefasst werden, die also als Fixpunkte (d. h. auf sich selbst abgebildete Punkte) die Mitten des Inkreises und der Ankreise hat und die für Punkte des Umkreises nicht anwendbar ist.
Wenn man nun weiß, dass diese Fixpunkte auch bei der isogonalen Abbildung auftreten, drängt sich der Verdacht auf, dass es sich um dieselbe Abbildung handelt. Trifft das zu?
Wegen des Sekantensatzes sind die beiden (orange bzw. gelb und orange) getönten Dreiecke ähnlich zueinander.
Wegen der Winkelsummen im Viereck und dieser Ähnlichkeit der Dreiecke sind die beiden entsprechenden Vierecke ebenfalls ähnlich zueinander.
Daraus folgen nun die Ähnlichkeit dieser Dreiecke und die Gleichwertigkeit der beiden Abbildungsvorschriften.
Anregung zur 2. Abbildungsvorschrift: Morsel 12 aus Honsbergers "More Morsels"
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben