Pentagramma mirificum
Spannen Sie bitte 5 Gummiringe so um einen Ball, dass zwei regelmäßige (Kugel-) Fünfecke, 10 deckungsgleiche (Kugel-) Vierecke mit je drei rechten Winkeln und 10 deckungsgleiche (Kugel-) Dreiecke mit je einem rechten Winkel entstehen. Sie können auch stattdessen 5 gleiche Kreisringe aus Draht anfertigen und dann an den passenden Stellen mit Elasticgarn zusammenknoten. Was für Figuren bilden die Fünfecke mit jeweils den angrenzenden Dreiecken zusammen?
Etwas Geometrie der Kugeloberfläche: Als Seiten der (Kugel-)Polygone werden stets Bögen von Großkreisen, also Kreisen um den Kugelmittelpunkt, verwendet. Drei Großkreise zerschneiden die Oberfläche in maximal 8 Dreiecke, die wegen der Punktsymmetrie zur Kugelmitte paarweise deckungsgleich sind. Die Seiten werden üblicherweise durch die Winkel vom Kugelmittelpunkt aus gekennzeichnet, als Winkel in den Polygonen werden die Winkel zwischen den Tangenten betrachtet. Die Winkelsummen hängen nicht nur (wie in der Ebene) von der Zahl der Ecken ab, sondern auch vom Anteil an der Gesamtfläche der Kugel. So kann man die ganze Kugeloberfläche durch drei sich paarweise rechtwinklig schneidende Großkreise in 8 deckungsgleiche Achtel teilen, deren jedes ein gleichseitiges (Kugel-)Dreieck mit drei rechten Winkeln ist. Beachten Sie auch, dass auf der Kugel ein Viereck mit drei rechten Winkeln kein Quadrat ist, sondern als vierten Winkel einen stumpfen hat. Zu jedem Großkreis gehört eine Rotationsachse, seine Polare – wie die Erdachse zum Äquator.
Die beiden Fünfecke bilden zusammen mit den jeweils 3 angrenzenden Dreiecken zwei Pentagramme (überschlagene Fünfecke) mit je 5 rechten Winkeln. Die 5 Kreise schneiden sich in 20 Punkten, und zwar an 10 Stellen rechtwinklig, und an den anderen 10 treffen sie sich mit den Polaren (Rotationsachsen) von jeweils einem anderen der Kreise (hier in den zugehörigen Farben gezeichnet). Alle Teile der Figur sind natürlich punktsymmetrisch zur Kugelmitte, treten also mindestens doppelt auf.
Um zu dieser Figur zu kommen, nehmen wir zunächst 5 Kreise, deren Achsen rotationssymmetrisch auf einem Doppelkegelmantel liegen. Dessen Öffnung können wir noch variieren. Bei einem bestimmten Öffnungswinkel treffen die Polaren die Schnittpunkte der Kreise, was zu den rechten Winkeln führt:
Dieses Modell ist aus dünnem Plasticrohr und leicht gespanntem Elasticgarn. Die weißen Fäden sind die Polaren der 5 Kreise, und die roten verbinden die rechtwinkligen Ecken mit ihren Spiegelbildern.
Die Bezeichnung "Pentagramma mirificum" (wunderbares Pentagramm) ist nicht auf den hier beschriebenen symmetrischen Fall beschränkt, sondern gilt für das allgemeinere Kugelfünfeck (bzw. -Pentagramm), das entsteht wenn man zu den Großkreisen von einem fast beliebigen (nämlich ungleichseitigen) rechtwinkligen Kugeldreieck noch die beiden Großkreise zufügt, deren Pole die beiden Ecken mit den nicht-rechten Winkeln sind. John Neper (Napier) hat das gefunden und daraus seine übersichtlichen Merkregeln für die Kugel-Trigonometrie abgeleitet.
Welche Symmetrie-Eigenschaften hat auch das unregelmäßige Pentagramma mirificum?
Auch hier sind die roten Fäden die Verbindungen der rechtwinkligen Ecken mit ihren Spiegelbildern, und die weißen die Polarachsen der Großkreise. Wegen der Punktsymmetrie der ganzen Kugel-Trigonometrie kommt jedes Polygon zweimal deckungsgleich vor, aber es sind 5 verschiedene rechtwinklige Dreiecke und 5 verschiedene Vierecke mit je 3 rechten Winkeln.
Es ist nicht mehr zu erkennen, von welchem der zweimal vier Dreiecke die Figur ausgeht. Jedes führt zu der gleichen Figur, wenn man ihm die Kreise hinzufügt, die ihre Pole in den nicht-rechtwinkligen Ecken haben.
Jeder Kreis schneidet an 8 Stellen die anderen, seine 8 Bogenabschnitte ergänzen sich jeweils mit zwei benachbarten zu einem Viertelbogen (im symmetrischen Fall treten dabei immer dieselben beiden Teilbögen auf).
Ich habe das Pentagramma mirificum – in der allgemeinen Version – bei Bigalke (Kap. 2.2) gefunden und bin nachträglich unserem Mathelehrer (und "Direx") Herrn Dr. Alfred Meyne – dem ich sehr viel verdanke – etwas böse, dass er uns trotz der ausgiebigen Kugelgeometrie diese Sache vorenthalten hat. Vielleicht täusche ich mich aber auch, denn zu meinem Erstaunen habe ich die Sache jetzt auch wieder in unserem damaligen Schulbuch (Lambacher/Schweizer) gefunden.
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