Profiplus
Gegen eine gewisse Krankheit wird ein Medikament namens Profiplus erprobt. Von den männlichen Patienten, die es genommen haben, wurden 53% gesund, von denen, die es nicht genommen haben (sondern statt dessen ein Placebo), wurden 62% geheilt. Aber auch Patientinnen haben es genommen, von denen 32% gesund wurden. Von den Patientinnen aber, die es nicht genommen haben, wurden 41% gesund. Zählt man aber die Männer und die Frauen zusammen, so sind 51% der Benutzer des Medikaments gesund geworden, aber nur 46% derjenigen, die das Placebo bekommen haben. Wie reimt sich das zusammen? Würden Sie Profiplus einnehmen, wenn Sie die in Frage stehende Krankheit hätten?
Es sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass 1500 Männer und 220 Frauen das Medikament eingenommen haben, 210 weitere männliche Patienten und 680 Patientinnen haben statt dessen nur das Placebo geschluckt.
Ich würde Ihnen von dem Medikament abraten, denn es scheint nicht viel zu bewirken, und vielleicht hat es sogar schädliche Nebenwirkungen.
Offenbar überstehen aber Männer diese Krankheit (mit oder ohne Medikament) besser als Frauen, und unter den Männern hat ein größerer Teil das Medikament eingenommen als unter den Frauen. Dadurch täuscht das "Gesamtergebnis" eine positive Wirksamkeit vor. Tatsächlich werden sowohl die Frauen als auch die Männer von den Placebos (also Zuckertabletten, die der Patient für ein Heilmittel hält) besser geheilt als von Profiplus.
Das ist keineswegs ironisch gemeint: Das Vertrauen in ein Medikament oder einen (persönlich bekannten) Arzt ist eine wesentliche Komponente bei vielen Therapien. Wenn ein Medikament deutlich schlechter als ein Placebo ist, muss man sogar von einer schädlichen Wirkung ausgehen. Spätfolgen sind dabei noch gar nicht erfasst.
Der Hersteller von Profiplus wird sich hoffentlich nicht auf den Standpunkt stellen, dass zu viele Details die Patienten nur verwirren, und nur die Gesamtzahlen veröffentlichen oder noch lieber von statistisch erwiesener Wirksamkeit schreiben und nur ungern zugeben, dass wir es hier mit einem Beispiel für das nach Edward Simpson benannte (vermeintliche) Paradox der Statistik zu tun haben.
Dieses ist jedenfalls kein Paradox im Sinne eines unlösbaren Widerspruchs, sondern nur eins in dem Sinne, dass hier etwas bei laienhafter Betrachtung (sorry!) wie ein Widerspruch aussieht.
Sogar die Frage, welches die richtige Sicht der Dinge zur Beurteilung eines Medikaments (einer Therapie usw.) sei, ist keineswegs offen: Wenn etwas in jeder in sich einheitlichen Teilgruppe (Alter, Geschlecht, Gewicht usw.) als gut oder schlecht erweist, ist das ernster zu nehmen als die Scheinkorrelationen beim Zusammenfassen der Ergebnisse. Der Haken an der Sache ist nur, dass die gewünschten homogenen Stichproben oft so klein ausfallen, dass die Statistik dadurch wieder unsicher wird.
Eine andere Aufgabe (599: Kriminelle Einwanderer?) handelt ebenfalls vom Simpson-Paradox, das dort gewissermaßen anders aufgelöst wird, weil es dort nicht (jedenfalls nicht hauptsächlich) um Prognosen geht.
Die Mund-zu-Mund-Propaganda im Wartezimmer geht noch weiter (als die falsch angewendete Statistik) an der Wahrheit vorbei: Wer Profiplus eingenommen hat und (trotzdem?) gesund geworden ist, wird allen Bekannten erzählen, wie gut dieses Zeug ist. Wer aber ganz ohne Medikamente gesund geworden ist, wird sich kaum zu Profiplus äußern. Die Beliebtheit von Horoskopen hat übrigens eine ähnliche Ursache, ebenso die Behauptung, dass früher alles besser war und insbesondere der Schnee zu Weihnachten.
Das Zahlenbeispiel lehnt sich an Székely (Seite 133) an, wo es sozusagen positiv zugunsten des Medikaments formuliert ist. Ich habe die Zahlen umgedreht, weil ich glaube, dass die meisten Patient(inn)en in Deutschland viel zu unkritisch gegen Pharmaka sind und einem Arzt davonlaufen, der sie bei Schnupfen ohne Ärztemuster nach Hause schickt.
Das ändert nichts daran, dass die Leistungen der Pharmazie besonders im 20. Jahrhundert zu den wertvollsten Teilen der menschlichen Kultur gehören.
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