Reguläre Polyeder
Wie kann man ausrechnen, aus wie vielen Flächen die Polyeder bestehen, bei denen in jeder Ecke gleich viele gleiche regelmäßige Polygone zusammen treffen?
Diese Regel überträgt sich auch auf Vierecke und Fünfecke. Das sieht man so:
Reguläre Kugelvielecke (mit gleichen Seiten und gleichen Winkeln) haben (Sehnen-)Vielecke mit allen Ecken in einer gemeinsamen Ebene. Man kann sie durch Diagonalen (ohne zusätzliche Ecken!) in Dreiecke bzw. Kugeldreiecke zerlegen. Dabei bleiben die Gesamt-Innenwinkel in den Ecken erhalten, und die Kugeldreiecksflächen addieren sich zu der des Vier- bzw. Fünfecks (usw.). Die Regel über Winkelüberschuss und Flächenanteil an der Kugel gilt also für alle regulären Vielecke der Kugeloberfläche. Nun können wir an die Polyeder gehen:- an jeder Ecke 3 Dreiecke
- an jeder Ecke 4 Dreiecke
- an jeder Ecke 5 Dreiecke
- an jeder Ecke 3 Vierecke
- an jeder Ecke 3 Fünfecke
3 Dreiecke an jeder Ecke
In der Ebene bringen 3 gleichseitige Dreiecke je 60o mit, in der Tangentialfläche der Kugel werden für die Kugeldreiecke daraus 360o/3 = 120o, also pro Ecke eines Dreiecks 60o Überschuss und für alle drei Ecken 180o. Der Flächenanteil des Kugeldreiecks an der gesamten Kugeloberfläche ist daher 180/720 = 1/4. Die Kugeloberfläche reicht also für 4 solche Dreiecke, und wenn wir annehmen, dass diese sich nicht teils überlappen und das durch Lücken ausgleichen (was wegen der Symmetrie nicht zu erwarten ist, durch unsere Rechnung aber nicht ausgeschlossen wird) finden wir, dass das Polyeder, bei dem in jeder Ecke 3 gleichseitige Dreiecke zusammen treffen, 4 Flächen hat. Es ist das reguläre Tetraeder:
4 Dreiecke an jeder Ecke
In der Ebene bringen 4 gleichseitige Dreiecke je 60o mit, in der Tangentialfläche der Kugel werden für die Kugeldreiecke daraus 360o/4 = 90o, also pro Ecke eines Dreiecks 30o Überschuss und für alle drei Ecken 90o. Der Flächenanteil des Kugeldreiecks an der gesamten Kugeloberfläche ist daher 90/720 = 1/8. Die Kugeloberfläche reicht also für 8 solche Dreiecke, und mit denselben Annahmen wie oben finden wir, dass das Polyeder, bei dem in jeder Ecke 4 gleichseitige Dreiecke zusammen treffen, 8 Flächen hat. Es ist das reguläre Oktaeder:
5 Dreiecke an jeder Ecke
In der Ebene bringen 5 gleichseitige Dreiecke je 60o mit, in der Tangentialfläche der Kugel werden für die Kugeldreiecke daraus 360o/5 = 72o, also pro Ecke eines Dreiecks 12o Überschuss und für alle drei Ecken 36o. Der Flächenanteil des Kugeldreiecks an der gesamten Kugeloberfläche ist daher 36/720 = 1/20. Also hat das Polyeder 20 Flächen. Es ist das reguläre Ikosaeder:3 Vierecke an jeder Ecke
In der Ebene bringen 3 Quadrate je 90o mit, in der Tangentialfläche der Kugel werden für die Kugelvierecke daraus 360o/3 = 120o, also pro Ecke eines Vierecks 30o Überschuss und für alle vier Ecken 120o. Der Flächenanteil des Kugelvierecks an der gesamten Kugeloberfläche ist daher 120/720 = 1/6. Die Kugeloberfläche reicht also für 6 solche Quadrate, und das Polyeder, bei dem in jeder Ecke 3 Quadrate zusammen treffen, hat 6 Flächen. Es ist das reguläre Hexaeder, also der Würfel:
3 Fünfecke an jeder Ecke
In der Ebene bringen 3 regelmäßige Fünfecke je 108o mit, in der Tangentialfläche der Kugel werden für die Kugelfünfecke daraus 360o/3 = 120o, also pro Ecke eines Dreiecks 12o Überschuss und für alle 5 Ecken eines Fünfecks 60o. Der Flächenanteil des Kugelfünfecks an der gesamten Kugeloberfläche ist daher 60/720 = 1/12. Die Kugeloberfläche reicht also für 12 solche Fünfecke, also hat das Polyeder 12 Flächen. Es ist das reguläre Dodekaeder:
Die hier beschriebenen konvexen regulären Polyeder heißen auch platonische Körper. Es gibt von ihnen genau diese 5, manche Autoren zählen aber auch noch die vier Sternpolyeder von Kepler und Poinsot – die also nicht konvex sind – zu den regulären Polyedern. Platon hat die 5 konvexen in seinem Weltentstehungsmythos, dem Dialog "Timaios", den 4 Elementen und einer 5. Substanz (später Äther genannt) zugeordnet und ist damit zum Namenspatron dieser Polyeder geworden. Die antiken "Elemente" (gr. stoicheia) Erde, Wasser, Luft, Feuer entsprechen in der heutigen Naturbeschreibung weitgehend den Aggregatzuständen Feststoff, Flüssigkeit, Gas und Plasma (das ist ein Gas mit vielen freien Ionen und Elektronen). Der das Licht und die anderen elektromagnetischen Wellen leitende "Äther" wurde angeblich abgeschafft, nachdem in dem berühmten Experiment von Michelson und Morley eine Relativbewegung zur Erde nicht gefunden wurde. In Wirklichkeit wurde der Äther eher durch das Vakuum ersetzt, das gar nicht so leer ist ist, wie der Name behauptet, es ist lediglich luftleer, und auch das nur im theoretischen Grenzfall.
Euklids "Stoicheia" ("Elemente") ist das erste axiomatisch durchgeführte Mathematikbuch und behandelt auf ziemlich penetrante Weise die (heute nach ihrem Autor benannte) Elementargeometrie und einiges aus der Zahlentheorie. Es gipfelt immerhin in der Beschreibung des regulären Dodekaeders. Man kann den kulturellen Wert dieses Werkes gar nicht hoch genug einschätzen und trotzdem der Meinung sein, dass es eine Grausamkeit war, es bis ins 19. Jahrhundert als Schulbuch zu missbrauchen.
In der Hamburger Buchhandlung Boysen + Maasch fand ich einmal die "Elemente" Euklids im Regal für Chemie. War das Unkenntnis oder ein Scherz eines Kunden, und wenn ein Scherz: ein einfacher Kalauer oder einer mit Hintergrundwissen? Als ich das Herrn Queisser von der (jetzt nicht mehr existierenden) Braunschen Buchhandlung in Duisburg erzählte, berichtete dieser, er habe einmal ein Buch über Operationsverstärker in einem Regal für Chirurgie vorgefunden. Man könnte noch einen Schritt weitergehen und mit einer gewissen altsprachlichen Bildung – Halbbildung oder noch weniger reicht hier schon – auch ein Buch über Chirurgie ins Regal "Handwerk" stellen (denn das ist die wörtliche Bedeutung, und früher waren Chirurgen weit davon entfernt, im Ansehen vor den anderen Medizinern zu stehen, sie wurden nicht einmal zu ihnen gezählt).
Auch bei dem folgenden (zweistufigen!) Witz habe ich den Verdacht, dass sein Erfinder gar nicht wusste, dass "Giro" (Geldumlauf) ebenso wie "Gyros" (das Fleisch am Drehspieß) vom griechischen "gyros" = rund stammt: Ein noch nicht sehr gut deutsch sprechender Einwanderer aus Griechenland geht zur Bank und sagt: "Ich möchte ein Gyros-Konto einrichten" und bekommt zur Antwort "Das ist hier aber nicht Ouzo".
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