Von Apfelsinen und Kristallen: die fcc-Wigner-Seitz-Zelle
Man stellt sich Atome meistens kugelförmig vor, ebenso wie Apfelsinen. Wenn man die Apfelsinen aber erst stapelt und dann von allen Seiten drückt, bis (fast) kein Zwischenraum mehr da ist, nähert sich ihre Gestalt (immer genauer) einem Polyeder.
Wenn man beim Stapeln die Mittelpunkte der Kugeln auf die ganzzahligen Gitterpunkte in einem kartesischen System setzt (was ziemliche Platzverschwendung ist und ohne Stützwände nicht geht), bekommt man ein primitiv-kubisches Gitter, und aus den Kugeln werden Würfel. Auch wenn man die Kugeln nicht presst, hat jeder Mittelpunkt (oder im Kristall ein Atomkern) einen Raum um sich, dessen Punkte näher bei ihm als bei irgend einem anderen liegen: die Wigner-Seitz-Zelle, beim primitiv-kubischen Gitter natürlich ein Würfel.
Sie haben nun sicher schon vermutet, dass es auch noch andere kubische Gitter gibt, die weniger primitiv sind. Es gibt sogar mehrere andere Sorten, die bei den Kristallen von vielen Elementen vorkommen (außer ihnen kommen bei Elementen fast nur noch hexagonale Gitter vor).
Eins davon kann man wie folgt beschreiben: Wir denken uns ein 3-dimensionales kartesisches Koordinatensystem und darin alle ganzzahligen Gitterpunkte mit einem Atommittelpunkt besetzt. Das primitiv-kubische Gitter ist dann fertig. Das fcc-Gitter (face-centered cubic) wird meistens so beschrieben, dass an den Ecken und auf den Flächenmitten die Atommittelpunkte sitzen, aber nicht in der Würfelmitte. (Wieder ist das erste Video eines Paars zum Betrachten mit der Rot-Grün-Brille, das zweite zum Schielen.)
Wie sieht die Wigner-Seitz-Zelle des fcc-Gitters aus? Oder anders gesagt: Zu welchen Polyedern kann man Apfelsinen quetschen, damit man den Raum so füllen kann, dass ihre Mittelpunkte das genannte Gitter bilden?
Bei der genannten Beschreibung sitzt kein Atom in der Mitte eines Würfels. Verschiebt man aber das Gitter um eine halbe Würfelkantenlänge in eine der drei Koordinatenrichtungen, so sitzen die Atommittelpunkte in den Mittelpunkten und Kantenmitten der Gitterwürfel, und wir sehen viel deutlicher, dass jedes Atom 12 gleich nahe nächste Nachbarn hat:
Zwischen unserem Atom und einem seiner nächsten Nachbarn denken wir uns die "Mittelsenkrechte", d. h. die Ebene, die die Verbindungsstrecke zwischen beiden Atomen genau in der Mitte schneidet und rechtwinklig zu ihr steht. Die Flächen der Wigner-Seitz-Zelle sind Teile dieser Ebenen, nämlich diejenigen, auf denen die beiden Atome die Sache unter sich ausmachen, ohne dass ein drittes ihnen nahekommt. Da unser Atom 12 nächste Nachbarn hat, sollte die Wigner-Seitz-Zelle auch (mindestens) 12 Flächen haben. (Es wären mehr, wenn übernächste Nachbarn eine Rolle spielen würden.) Was für ein Polyeder bilden die Nachbarn als Eckpunkte? Welches Polyeder ist zu ihm dual? Hier brauchen wir von Paaren zueinander dualer Polyeder nur zu wissen, dass sie ungefähr "an denselben Stellen" Kanten haben, aber gewissermaßen Ecken und Flächen gegeneinander auswechseln.
Die nächsten Nachbarn eines Atoms im fcc-Gitter bilden ein Kuboktaeder (also den gemeinsamen Stumpf von Würfel und Oktaeder). Dual zu diesem archimedischen Polyeder ist das Rhombendodekeader aus 12 Rauten. Da es aus dem Würfel nicht herausschaut, kommen keine weiteren Flächen (für übernächste Nachbarn) hinzu, wir müssen also nichts abschneiden:
Das Rhombendodekaeder ist übrigens das einzige dual-archimedische Polyeder (d. h. halb-reguläre Polyeder mit lauter kongruenten Flächen), mit dem man den Raum lückenlos voll-stapeln kann (der Würfel ist regulär, und der Oktaederstumpf ist archimedisch, hat also nur reguläre Polygone als Flächen, aber von mehr als einer Sorte, außerdem kann man den Raum auch mit 3- oder 6-zähligen Prismen füllen, die man noch zu den archimedischen Polyedern zählen kann).
Anmerkung für Festkörperphysiker: Da bcc (body-centered cubic) und fcc zueinander reziproke Gitter sind, ist das Rhombendodekaeder auch die 1. Brillouin-Zone des bcc-Gitters.
Diese Tischtennisbälle zeigen den Vergleich zwischen dem kubischen fcc-Gitter (jeweils rechts) und dem mit der gleichen Raumausfüllung existierenden dichtest-hexagonalen Gitter:
Eine Frage habe ich aber noch: Welchen Teil des Würfelvolumens füllt die Wigner-Seitz-Zelle?
Der ganze Würfel enthält in der Mitte ein ganzes Atom und an den 12 Kanten je 1/4, zusammen also 4 Atome. Da die Wigner-Seitz-Zelle natürlich 1 Atom enthält (und der ganze Raum lückenlos aus ihresgleichen besteht), ist ihr Volumen 1/4 von dem des Würfels.
In einem etwas größeren Zusammenhang sieht die Raumfüllung von Rhombendodekaedern (als Seitz-Wigner-Zellen) und von Oktaedern und doppelt so vielen Tetraedern mit den Atomkernen als Ecken so aus:
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