Warum fällt die Gondel nicht?
Hier fährt die Gondel einer Achterbahn durch den oberen Scheitel einer Schleife ("Looping"). Warum fällt sie dabei nicht nach unten?
Nicht nur in Physikbüchern, die 100 Jahre alt sind (dieses Bild ist aus einem von Waeber) findet man solche Bildunterschriften als Erklärungen. Angeblich wirkt bei einer Kurvenfahrt eine Kraft (die auf den Namen "Zentrifugalkraft" hört) nach außen (hier also nach oben), und wenn sie stärker als die Schwerkraft ist, drückt die Gondel sogar nach oben gegen die Schienen.
Was würde die Gondel vom Scheitelpunkt an ohne die Schienen machen? Sie würde auf einer Wurfparabel erst waagerecht und dann immer steiler nach unten fallen. Wenn nun der Krümmungsradius der Schienen enger als der dieser Wurfparabel (in ihrem Scheitel) ist, drücken die Schienen von oben auf die Gondel und beschleunigen die Fallbewegung noch zusätzlich zur Schwerkraft, die Gondel fällt also durchaus, und zwar sogar besonders schnell. Man kann auch einen Ball nach unten werfen und dann fragen, warum er denn nicht fällt.
Vielleicht meint man aber gar nicht, dass die Gondel nicht fällt, sondern will erklären, warum die Insassen nicht herausfallen. Aber in welche Richtung sollen sie denn herausfallen können? Am ehesten seitwärts. Damit sie das nicht tun (und nur deshalb!) sind sie angegurtet. Nach oben können sie nicht, denn da sind die Gondel und die Schienen, und nach unten fallen sie ja bereits schneller als im freien Fall, aber nicht aus der Gondel, sondern mit der Gondel, und zwar (nach unten!) geschoben von dieser.
Wir reden wohlgemerkt nicht von einem Karussell, bei dem die Gondel oben stehen bleibt: da müssen die Leute richtig in Gurten aufgehängt sein.
Seit etwa 40 Jahren tischen die Physikbücher nicht mehr die Zentrifugalkraft auf, sondern argumentieren mit den tatsächlichen Kräften (ich habe das als Schüler im Vorwort unseres Physikbuches "Dorn" mitbekommen, und es hat mich für dieses Thema nachhaltig sensibilisiert). Was ist aber der Grund für die andere Darstellung, die man vor allem bei Astronomen immer noch vorherrschend findet und die gerade bei Laien so beliebt ist? Die Tatsache, dass es ein formal korrekter Trick mit einem beschleunigten Bezugssystem ist (in dem einem dann ganz friedliche Dinge um die Ohren fliegen), kann es kaum sein, denn davon scheinen die Autoren oft nichts mitbekommen zu haben, jedenfalls lassen sie es nicht erkennen.
Wohl eher ist es eine gewisse miss-interpretierte sinnliche Erfahrung, die aber mehr mit dem Unterschied zwischen Volumen- und Oberflächenkräften zu tun hat als mit Bezugssystemen: Man spürt beim Stehen, Liegen oder Sitzen im Schwerefeld nicht die Schwerkraft (die als Volumenkraft jede Faser des Körpers einzeln erfasst und daher keine Spannungen erzeugt), sondern die Einwirkungen der elastischen Kräfte von Fußboden oder Möbeln auf den Körper und ordnet diese der Schwerkraft zu (mit der sie sich ja normalerweise bis zum Gleichgewicht einpendeln). In der Achterbahn drückt der Sessel stets mehr oder weniger stark gegen die Sitzfläche des Menschen, und er denkt sich dazu eine Kraft, die ihn in den Sessel drückt, wie sonst (unter natürlichen Bedingungen) die Schwerkraft es tut.
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