Ein neuer Blick auf die Welt
Für gewöhnlich sind Wissenschaftler bemüht, Sachverhalte auf einfachere Sachverhalte zurückzuführen und die wiederum auf noch grundlegendere. Am Ende dieses Reduktionsprozesses steht im Idealfall eine "Weltformel", die so fundamental ist, dass sich alles auf ihr gründet.
In der Tat ist der Reduktionismus als Philosophie unter Physikern weit verbreitet, und die Idee einer "Theorie von Allem" (theory of everything) fasziniert viele von ihnen. Aber die Suche danach könnte nutzlos sein, selbst wenn sie erfolgreich ist. Dann hat man die Formel und versteht die Welt noch immer nicht, weil man durch ihr Zerlegen in kleinste Einzelteile genau die Zusammenhänge aus dem Blickfeld entfernt hat, auf die es ankommt. Der Physiker Robert B. Laughlin von der Stanford University (Kalifornien) ruft daher den Übergang der Wissenschaft in ein "Zeitalter der Emergenz" aus, in dem sich "die Suche nach letzten Ursachen der Dinge vom Verhalten der Teile auf das des Kollektivs verlagert".
Das Konzept der Emergenz ist in Biologie, Medizin oder Philosophie längst etabliert, wenn auch nicht unbedingt unter diesem Namen. Das eindrucksvollste Beispiel eines emergenten Phänomens ist unser eigenes Bewusstsein: Keines unserer Neurone hat es; vielmehr bringt erst ihr Zusammenspiel es hervor. In der Physik blieben emergente Vorgänge bislang hingegen eher unbeachtet, wenngleich sich auch hier zahlreiche Beispiele finden lassen. So ist die Temperatur nie eine Eigenschaft eines Moleküls, sondern immer nur großer Molekülkollektive, auch wenn die theoretischen Physiker gerne von der "Temperatur in einem Punkt" sprechen. Ein einzelnes Atom ist nicht hart oder weich; Härte ist erst eine Eigenschaft einer Vielzahl von Atomen.
Auch wenn sich emergente Phänomene durch simple Gesetze beschreiben lassen, sind diese, so Laughlin, nicht auf einfachere Gesetze zurückzuführen. Vielmehr entstehen durch Selbstorganisation vieler Elemente kollektive Zustände, die über die Summe dieser Teile hinauswachsen. In diesem Kontext werden die zu Grunde liegenden Gesetze bedeutungslos und damit auch die Weltformel, sollte sie überhaupt existieren. So braucht man kein Wissen über Strings oder Quarks, um in Biologie, Klimaforschung oder Physik wichtige Erkenntnisse gewinnen zu können.
Folglich können Gesetzmäßigkeiten nicht durch bloßes Denken antizipiert werden, schließt Laughlin, sondern nur durch Experimente. So sieht er etwa die Stringtheorie nur als einen schönen Satz von Ideen. Einen praktischen Nutzen habe sie nicht, da sie immer außer Reichweite der experimentellen Überprüfbarkeit liegen werde. Stattdessen solle sich die Wissenschaft nun auf die Katalogisierung der emergenten Phänomene konzentrieren.
Denn spätestens mit dem 1980 von Klaus von Klitzing entdeckten Quanten-Hall-Effekt sei das Zeitalter des Reduktionismus vorüber. Von Klitzing zeigte damals, dass sich unter bestimmten Bedingungen neue, kollektive Elektronenzustände in einem stromdurchflossenen Leiter ausbilden. Laughlin forschte selbst auf diesem Gebiet und vermochte mit dem Modell der Selbstorganisation den verwandten "gebrochenzahligen Quanten-Hall-Effekt" zu beschreiben. In diesem lassen sich vermeintlich unteilbare Größen – in diesem Fall die Elementarladung – durch die Selbstorganisation von neuen Materiephasen in exakte Bruchteile zerlegen. Für diese Leistung erhielt er 1998, gemeinsam mit Horst Störmer und Daniel Tsui, den Nobelpreis für Physik.
Nicht verwunderlich also, dass dies zu seinem Paradebeispiel für emergente Phänomene wird, denn reduktionistischen Methoden, die nur die Eigenschaften der einzelnen Bestandteile betrachten, blieb die Aufklärung verwehrt. In seinem Buch stellt Laughlin aber auch in anderen Bereichen der Physik, etwa bei "Nanoflitterkram" (gemeint: Nanotechnik), Supraleitern oder Quantencomputern, die reduktionistische Sichtweise in Frage und zeigt die überlegene Erklärungskraft des Emergenzkonzepts auf.
Damit liefert Laughlin eine sowohl physikalisch als auch philosophisch interessante Ansicht der Welt und ein Gegengewicht zu den Büchern von Brian Greene, Stephen Hawking und anderen, die ein "elegantes Universum" propagieren. Doch leider verwischt er seine Argumente oftmals durch abstruse Beispiele und missglückte Analogien, etwa wenn er die Verschränkung von Quantenobjekten mit einer Einkommensteuererklärung vergleicht. Noch mehr stören die in jedem Kapitel eingestreuten Anekdoten. Ob er sich seitenweise über lebensbedrohliche Situationen beim Campingausflug mit seinen Jungs oder über eine Bootsfahrt auf dem Neckar mit seinen Wissenschaftlerkollegen auslässt – über das gesamte Buch wird man durch seine entbehrlichen Geschichten wieder aus dem eigentlichen Stoff gerissen.
Darüber hinaus hinterlassen manche Kapitel mehr Fragen als Antworten. Immer wieder verwendet der Autor gar nicht oder nur unzureichend eingeführte Fachbegriffe, wie beispielsweise "ultravioletter Cutoff", "kanonische Quantelung" oder "Isotopenmasse". Damit dürfte es dem Nichtfachmann schwer fallen, so manchen Gedanken von Laughlin zu verfolgen.
Das Buch bleibt lesenswert auf Grund der interessanten Ideen; aber die schlechte Umsetzung mindert das Lesevergnügen.
In der Tat ist der Reduktionismus als Philosophie unter Physikern weit verbreitet, und die Idee einer "Theorie von Allem" (theory of everything) fasziniert viele von ihnen. Aber die Suche danach könnte nutzlos sein, selbst wenn sie erfolgreich ist. Dann hat man die Formel und versteht die Welt noch immer nicht, weil man durch ihr Zerlegen in kleinste Einzelteile genau die Zusammenhänge aus dem Blickfeld entfernt hat, auf die es ankommt. Der Physiker Robert B. Laughlin von der Stanford University (Kalifornien) ruft daher den Übergang der Wissenschaft in ein "Zeitalter der Emergenz" aus, in dem sich "die Suche nach letzten Ursachen der Dinge vom Verhalten der Teile auf das des Kollektivs verlagert".
Das Konzept der Emergenz ist in Biologie, Medizin oder Philosophie längst etabliert, wenn auch nicht unbedingt unter diesem Namen. Das eindrucksvollste Beispiel eines emergenten Phänomens ist unser eigenes Bewusstsein: Keines unserer Neurone hat es; vielmehr bringt erst ihr Zusammenspiel es hervor. In der Physik blieben emergente Vorgänge bislang hingegen eher unbeachtet, wenngleich sich auch hier zahlreiche Beispiele finden lassen. So ist die Temperatur nie eine Eigenschaft eines Moleküls, sondern immer nur großer Molekülkollektive, auch wenn die theoretischen Physiker gerne von der "Temperatur in einem Punkt" sprechen. Ein einzelnes Atom ist nicht hart oder weich; Härte ist erst eine Eigenschaft einer Vielzahl von Atomen.
Auch wenn sich emergente Phänomene durch simple Gesetze beschreiben lassen, sind diese, so Laughlin, nicht auf einfachere Gesetze zurückzuführen. Vielmehr entstehen durch Selbstorganisation vieler Elemente kollektive Zustände, die über die Summe dieser Teile hinauswachsen. In diesem Kontext werden die zu Grunde liegenden Gesetze bedeutungslos und damit auch die Weltformel, sollte sie überhaupt existieren. So braucht man kein Wissen über Strings oder Quarks, um in Biologie, Klimaforschung oder Physik wichtige Erkenntnisse gewinnen zu können.
Folglich können Gesetzmäßigkeiten nicht durch bloßes Denken antizipiert werden, schließt Laughlin, sondern nur durch Experimente. So sieht er etwa die Stringtheorie nur als einen schönen Satz von Ideen. Einen praktischen Nutzen habe sie nicht, da sie immer außer Reichweite der experimentellen Überprüfbarkeit liegen werde. Stattdessen solle sich die Wissenschaft nun auf die Katalogisierung der emergenten Phänomene konzentrieren.
Denn spätestens mit dem 1980 von Klaus von Klitzing entdeckten Quanten-Hall-Effekt sei das Zeitalter des Reduktionismus vorüber. Von Klitzing zeigte damals, dass sich unter bestimmten Bedingungen neue, kollektive Elektronenzustände in einem stromdurchflossenen Leiter ausbilden. Laughlin forschte selbst auf diesem Gebiet und vermochte mit dem Modell der Selbstorganisation den verwandten "gebrochenzahligen Quanten-Hall-Effekt" zu beschreiben. In diesem lassen sich vermeintlich unteilbare Größen – in diesem Fall die Elementarladung – durch die Selbstorganisation von neuen Materiephasen in exakte Bruchteile zerlegen. Für diese Leistung erhielt er 1998, gemeinsam mit Horst Störmer und Daniel Tsui, den Nobelpreis für Physik.
Nicht verwunderlich also, dass dies zu seinem Paradebeispiel für emergente Phänomene wird, denn reduktionistischen Methoden, die nur die Eigenschaften der einzelnen Bestandteile betrachten, blieb die Aufklärung verwehrt. In seinem Buch stellt Laughlin aber auch in anderen Bereichen der Physik, etwa bei "Nanoflitterkram" (gemeint: Nanotechnik), Supraleitern oder Quantencomputern, die reduktionistische Sichtweise in Frage und zeigt die überlegene Erklärungskraft des Emergenzkonzepts auf.
Damit liefert Laughlin eine sowohl physikalisch als auch philosophisch interessante Ansicht der Welt und ein Gegengewicht zu den Büchern von Brian Greene, Stephen Hawking und anderen, die ein "elegantes Universum" propagieren. Doch leider verwischt er seine Argumente oftmals durch abstruse Beispiele und missglückte Analogien, etwa wenn er die Verschränkung von Quantenobjekten mit einer Einkommensteuererklärung vergleicht. Noch mehr stören die in jedem Kapitel eingestreuten Anekdoten. Ob er sich seitenweise über lebensbedrohliche Situationen beim Campingausflug mit seinen Jungs oder über eine Bootsfahrt auf dem Neckar mit seinen Wissenschaftlerkollegen auslässt – über das gesamte Buch wird man durch seine entbehrlichen Geschichten wieder aus dem eigentlichen Stoff gerissen.
Darüber hinaus hinterlassen manche Kapitel mehr Fragen als Antworten. Immer wieder verwendet der Autor gar nicht oder nur unzureichend eingeführte Fachbegriffe, wie beispielsweise "ultravioletter Cutoff", "kanonische Quantelung" oder "Isotopenmasse". Damit dürfte es dem Nichtfachmann schwer fallen, so manchen Gedanken von Laughlin zu verfolgen.
Das Buch bleibt lesenswert auf Grund der interessanten Ideen; aber die schlechte Umsetzung mindert das Lesevergnügen.
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