Wie der Mensch zum Ackerbau kam
Irgendwann gegen Ende der letzten Eiszeit – vor etwa 10 000 bis 12 000 Jahren – haben Menschen angefangen, ihre Lebensweise als Wildbeuter aufzugeben und zu Landwirtschaft und Viehzucht übergehen. In den Augen des Biologen und Ökologen Hansjörg Küster brachte die Einführung der Pflanzenzucht dabei die größten Einschnitte. Denn als man dazu übergegangen sei, Pflanzen zu kultivieren und anzubauen, sei man gezwungen gewesen, Felder und Gärten, Vorräte und Saatgut ständig zu bewachen. Und damit habe sich die Sesshaftigkeit als dominierende Lebensweise durchgesetzt.
Welche Umstände zur Erfindung der Landwirtschaft führten, ist nach wie vor nicht geklärt. Küster nimmt an, dass die fundamentalen klimatischen und ökologischen Veränderungen am Ende der letzten Eiszeit für die damaligen Jäger und Sammler existenziell bedrohlich waren. Damals sei in etlichen Regionen das Großwild knapp geworden – zum einen wegen des Entstehens ausgedehnter Wälder, in denen Säugetiere, denen man früher nachgestellt habe, kaum noch Nahrung hätten finden können. Zum anderen hätten die Böden in vielen Regionen, allen voran dem Nahen Osten, viel Salz verloren. Pflanzen, die dieses speichern konnten, seien immer weiter zurückgedrängt worden, und mit ihnen das Jagdwild.
Angesichts schwindender Lebensgrundlagen hätten sich die neolithischen Jäger und Sammler etwas einfallen lassen müssen. Schließlich seien sie darauf gekommen, die Körner von Wildgetreide zu sammeln, einen Teil davon als Saatgut zu verwenden und durch Züchtung die Erträge nach und nach zu steigern. Außerdem hätten sie Säugetierarten ausfindig gemacht, die sich zur Domestikation eignen, und sich auf die Nutztierhaltung verlegt.
All das begann wohl im Gebiet des "Fruchtbaren Halbmonds" im Nahen Osten, wo die Wildformen etlicher Getreidesorten und Hülsenfrüchte prächtig gediehen und wo noch dazu die wilden Vorfahren zahlreicher späterer Haustiere lebten. Von hier aus gelangte die Landwirtschaft nach Europa, in den Norden Afrikas und in den Westen Asiens. Später kamen auch in anderen Regionen Menschen auf die Idee, Wildgräser und andere Pflanzenarten zu kultivieren und so ihre Nahrungsversorgung selbst in die Hand zu nehmen.
Küster will herausarbeiten, welche Probleme bei den ersten Versuchen auftauchten, Pflanzen mit passenden Eigenschaften heranzuzüchten. So dürfte sich schon bald herausgestellt haben, dass unreife Getreidekörner zwar sofort verspeist, doch nicht gelagert werden können. Reife Körner dagegen verschimmeln zwar nicht so leicht, sind aber erst nach mühsamer Bearbeitung genießbar und zudem schwer zu beschaffen, weil die Körner an den Wildgrasähren nicht gleichzeitig reifen und ausgereifte Körner schon nach kurzer Zeit zu Boden fallen.
Vermutlich, schreibt der Autor, lernten die frühen Ackerbauern beizeiten, nicht die Gräser mit den größten Körnern zu sammeln und wieder auszusäen, sondern solche mit besonders festen Ährenachsen, an denen möglichst viele reife Körner möglichst lange haften blieben. Diese menschliche Selektion begünstigte ausgerechnet jene Pflanzenindividuen, die in freier Natur die schlechtesten Vermehrungschancen gehabt hätten. Da viele von ihnen Selbstbestäuber waren, kam es relativ selten zum genetischen Austausch mit wilden Formen.
Küster begreift die Landwirtschaft als eine durch chronischen Nahrungsmangel ausgelöste Innovation und verficht damit einen recht gängigen Standpunkt. Gegen diesen sind in jüngster Zeit diverse Einwände erhoben worden, mit denen sich der Autor nicht auseinandersetzt. So deutet in den Augen des deutschen Biologen Josef Helmut Reichholf vieles darauf hin, dass es gerade im Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds zu Beginn der Jungsteinzeit reichlich Jagdwild gegeben haben muss. Zudem seien die Körner des Wildgetreides anfangs noch winzig und schwer von den Spelzen zu trennen gewesen – dem Arbeitsaufwand habe somit ein äußerst geringer Ertrag gegenübergestanden. Reichholf vermutet daher, Getreide habe zunächst vor allem zum Bierbrauen gedient, denn mit dem Getränk ließen sich kollektive Rauschzustände erzeugen. Wieder andere Forscher nehmen an, dass der Kampf um Macht und Prestige zur Erfindung der Landwirtschaft geführt hat.
Man kann an Küsters hochgelehrtem, nüchtern formulierten Buch manches beanstanden. Dennoch bietet es einen sehr guten Abriss über die globale Geschichte der Kulturpflanzen, von der Frühzeit bis hin zur unmittelbaren Gegenwart, wobei die wichtigsten Getreidearten und Hülsenfrüchte ebenso berücksichtigt sind wie zahlreiche Obst- und Gemüsesorten, Öl-, Gewürz- und Faserpflanzen. Ein Werk, das so manche verblüffende Einsicht bietet.
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