Direkt zum Inhalt

Einzigartiger Gesinnungswandel

Andrej Sacharow (1921-1989) ergriff schon früh eine düstere Vorahnung: "Die thermonukleare Reaktion – diese geheimnisumwitterte Energiequelle der Sterne, unter ihnen die Sonne, und der Quell des Lebens auf der Erde, aber vielleicht auch Ursache für ihren Untergang – hatte ich schon im Griff, [sie] spielte sich vor mir auf dem Schreibtisch ab", erinnerte sich der russische Physiker an das Jahr 1948. Damals arbeitete er zusammen mit vielen anderen Wissenschaftlern im so genannten OBJEKT, einer streng geheimen Forschungsanlage irgendwo in den trostlosen Weiten Russlands. Mit Hochdruck verfolgten sie das Ziel, den sowjetischen Militärs Nuklearbomben zur Verfügung zu stellen.

Die Sowjets wollten so schnell wie möglich auf Augenhöhe mit den Amerikanern kommen, die bereits drei Jahre zuvor über Atombomben verfügt hatten – was sie im Krieg mit Japan gnadenlos demonstrierten. Der Wettlauf um das größte Vernichtungspotenzial kam schnell ins Rollen. Bald forschten beide Supermächte über Thermonuklearbomben, mit denen sich eine beinahe beliebig große Sprengkraft erreichen lässt.

Im Mittelpunkt dieser Arbeiten stand seitens der UdSSR der junge Physiker Andrej Sacharow, dessen Lebensweg der Historiker Gennady Gorelik im vorliegenden Buch nachzeichnet. Gorelik beginnt sein Werk, indem die physikalische Forschung im Zarenreich nachzeichnet und die Biographie von Pjotr Lebedew (1866-1912) umreißt, Russlands erstem Physiker von Weltrang. Neben den Grundlagen der Kernphysik erklärt der Autor die weltpolitische Lage der Jahre bis 1945 und geht darauf ein, vor welchem historischen Hintergrund sich die frühe Nuklearforschung entwickelte. Diese Ausführungen sind interessant, lesen sich aber manchmal etwas langatmig.

Im zweiten Teil des 500-seitigen Werks wendet sich Gorelik seinem eigentlichen Thema zu. Hier wird es spannend. Sacharow erscheint als enthusiastischer Physiker, dem es in erster Linie darum ging, das innerste Gefüge der Welt zu verstehen. Möglich war das nur, wenn man die Wünsche der Militärs berücksichtigte. Für Sacharow zunächst kein großes Problem, zumal er die Unterstützung des Regimes aus geopolitischen und patriotischen Gründen für notwendig hielt. Er nahm dafür Isolation und Abschottung in Kauf – und erhielt höchste Ehrenbekundungen und zahlreiche Privilegien im eher ärmlichen Sowjetreich.

Doch als klar denkendem Wissenschaftler, der sich hervorragend mit Nuklearbomben auskannte, wurde ihm allmählich bewusst, dass die Menschheit durch diese Waffen womöglich auf den Untergang zusteuert. Das nagte immer stärker an ihm, bis er seine Bedenken angesichts der Atombombentests Ende der 1950er Jahre schriftlich vor der Öffentlichkeit äußerte: "Jede Megatonne Sprengkraft einer noch so sauberen Wasserstoffbombenexplosion in der Atmosphäre erzeugt dort eine Radiokohlenstoffmenge, die 6600 Menschen auf dem Planeten im Verlauf von 8000 Jahren zum vorzeitigen Tod verurteilt", schrieb er 1958 in der Fachzeitschrift "Atomnaja Energija". Damit widersprach er den Amerikanern, die die Tests verharmlosten.

Der ungewöhnlich kritische Artikel gab den Auftakt für einen beispiellosen Gesinnungswandel, den Sacharow in den folgenden Jahrzehnten vollzog. Der Physiker wurde vom gefeierten und höchstdekorierten Volkshelden zum Staatsfeind der Sowjetunion. Als politischer Aktivist international hoch geachtet und ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis 1975, den er nicht persönlich entgegen nehmen durfte, lebte er im eigenen Land ab 1980 unter Hausarrest in Gorki. Erst Michail Gorbatschow, damals Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, hob den Arrest 1986 auf. Das tat Gorbatschow persönlich, und zwar mittels eines Telefons, das tags zuvor extra zu diesem Zweck in Sacharows Wohnung installiert worden war.

Gorelik zeichnet das äußerst bewegte Leben des russischen Ausnahmephysikers in dem Buch hochdetailliert nach. Von seiner Gründlichkeit zeugt unter anderem das beeindruckende Literaturverzeichnis am Ende des Buchs. Leider geht bei all der Akribie ein wenig die Leichtigkeit der Erzählung verloren. Manchmal wirkt der Text recht verschult und "kopflastig", was vielleicht der Übersetzung aus dem Russischen geschuldet ist. Nichtsdestoweniger ist dem Autor eine einprägsame Biografie gelungen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.