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Kompakte Physik mit Schönheitsfehlern

Lehrbücher der Physik werden immer dicker, meist bestehen sie inzwischen aus mehreren Bänden. Hier liegt nun eine umfassende Einführung in die Physik vor, welche die klassischen Gebiete wie Mechanik, Wärmelehre und Elektrodynamik, aber auch die Vorgänge im atomaren und nuklearen Bereich und das physikalische Modell des Universums behandelt. Und das alles auf nur 300 Seiten. Wie ist das möglich?

Die nicht überraschende Antwort ist: Knappheit bei Text und Stoffauswahl. Nicht gespart wurde dagegen bei den Abbildungen, es sind überwiegend kolorierte Zeichnungen, oft neuartige Darstellungen. Ungewöhnlich ist auch, dass den Abbildungen lange Erklärungstexte beigegeben sind. So werden sie zu eigenen Kapiteln, oft länger als die Textkapitel. Die ästhetisch ansprechenden Bilder haben wohl zum Buchtitel der "Anschaulichen Physik" geführt. Das könnte aber einen Interessenten zu der Fehleinschätzung verleiten, hier einen leichten Zugang ohne viele Formeln zu erhoffen. Tatsächlich kommt man ohne höhere Mathematik nicht aus, von der reichlich Gebrauch gemacht wird.

Das Buch gibt einen Überblick über die gesamte Physik, wobei die klassischen Kapitel nur auf die wichtigsten Phänomene beschränkt sind. Etwas breiteren Raum nehmen Quantenmechanik, Atome, Moleküle, kondensierte Materie und Kernphysik ein, verständlich, ist doch der Verfasser emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik und Professor an der Universität Heidelberg. So erklärt sich wohl auch der ungewöhnliche Einstieg in die Elektrodynamik: Statt wie bewährt über den anschaulichen makroskopischen Elektromagnetismus, wird hier mit den elektromagnetischen Wechselwirkungen zwischen elementaren Ladungen in Atomen begonnen.

Der astronomieinteressierte Leser erhält einen kurzen Überblick über viele kosmische Phänomene: Im Kapitel "Gravitation" vom Sonne-Erde-Mond-System mit Gezeiten und Bindungsenergie der Planeten bis zur Milchstraße und der Behandlung des Schwarzen Lochs im Zentrum. Später folgen Fusionsreaktor Sonne, Elementsynthese im Kosmos, radioaktive Altersbestimmungen und das expandierende Universum. Das alles ist sehr knapp gehalten, kann aber Verlangen nach tieferem Einstieg wecken. Gut gewählt und bebildert sind einige medizinische Anwendungen, so die der Bernoulli-Strömungsgleichung auf die Schlaganfallgefahr, oder die Ultraschalldiagnostik für den Blutfluss in den Arterien.

Die Kompaktheit der Darstellung hat ihren Preis: Manche Formeln werden einfach hingeschrieben, ohne sie erklärend herzuleiten ("…ohne eine ausführliche Begründung anzugeben, sollten Sie die Behauptung einfach glauben"; "…verzichten wir auf den Beweis, glauben die Behauptung aber dennoch…"). Das ist dann doch an manchen Stellen des Buchs nicht ganz zufriedenstellend. Auch mit einer beispielhaften Anwendung einer solchermaßen "behaupteten" Formel wird sich ein tieferes Verständnis nicht immer einstellen. Ebenso sparsam ist die technische Ausstattung des Buches. Das Sachverzeichnis enthält nicht alle behandelten Begriffe, manche erscheinen nicht alphabetisch, sondern in einer Untergruppe zu einem übergeordneten Stichwort, das man erst einmal erraten darf. Für den mathematisch weniger vorbereiteten Leser wäre der vorn angekündigte Anhang mit Ableitungen und Integralen hilfreich. Dieser Anhang fehlt aber!

Vermisst habe ich auch die bei Lehrbüchern nützlichen Tabellen für wichtige physikalische Konstanten, Umrechnungstabellen für Energiemaße und so weiter. Die hätten ihren Platz auf den acht leeren Seiten am Anfang und am Ende des Buchs haben können. Unerfreulich sind zahlreiche Druckfehler; da und stellenweise auch bei sprachlicher Glättung, hätte sich der Verlag mehr Mühe geben sollen. Erstaunlich für ein Springer-Buch, gelten diese doch als bestens redigierte Lehrbücher.

Diese "kompakte Physik" ist für Studenten mit Physik im Nebenfach geeignet, aber auch für naturwissenschaftlich Interessierte, die einen Überblick über das Gesamtgebiet anstreben und das dazu notwendige mathematische Rüstzeug (etwa Abiturwissen) mitbringen. Sie werden mit Vergnügen erfahren, dass man mit einfachen physikalischen Überlegungen für viele Alltagsphänomene die richtigen Größenordnungen abschätzen kann. Auch altgediente Physiker werden Freude an der modernen und straffen Stoffdarbietung finden und manches Neue lernen, wie beispielsweise zur jüngsten Abschätzung der Masse der radioaktiven Elemente im Erdinneren.

  • Quellen
Sterne und Weltraum 8/2012

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