Unter der Gürtellinie
Michel Onfray ist Philosoph – und zwar einer der streitbaren Sorte. Der 52-Jährige gründete vor Jahren im nordfranzösischen Caen eine "Volksuniversität", die jedermann Zugang zu Bildung ermöglichen soll. Im Rahmen seiner dortigen Vorlesungen zur "Gegengeschichte der Philosophie" erwachte sein Interesse am freudschen Denken. Onfray wühlte sich durch das umfangreiche Werk des Seelenkundlers, las Briefwechsel, Biografien sowie die einschlägige Sekundärliteratur und kam zu dem Schluss: Sigmund Freud hinterließ der Nachwelt zwei große Märchen, das der pseudowissenschaftlichen Heilssaga namens Psychoanalyse und die Legende seiner selbst.
In dieser mehr als 500 Seiten starken "Psychobiografie" stellt Onfray gleich zu Beginn klar: "Die Psychoanalyse ist so lange eine wahre und richtige Lehre, wie sie Freud und niemand anderen betrifft." Der Wiener Seelenkundler erscheint als ehebrecherischer, geltungssüchtiger, manipulativer Scharlatan. Starker Tobak also, wenn auch nicht sonderlich neu. Onfray reiht sich ein in eine lange Tradition des Psychoanalyse-Bashing, setzt diesem aber noch eins drauf, indem er immer wieder lustvoll unter die Gürtellinie schlägt.
Dass er einmal in einer Radiosendung die Anschuldigung zurückgewiesen habe, Freud sei ein sexbesessener, geldgieriger Lügner gewesen, bereue er heute, denn "die Vorwürfe sind berechtigt". Allerdings bleibt die argumentative Klarheit Onfrays doch oft hinter der Aufgeregtheit und immer wieder durchbrechenden Geschwätzigkeit seiner Ausführungen zurück.
Freud habe nichts weiter als einen Mythos erschaffen, denn Wissenschaft basiere auf Transparenz, Überprüfbarkeit und Rationalität – allesamt Prinzipen, die Freud und seine Adepten mit Füßen getreten hätten. Den Erfolg der Psychoanalyse führt Onfray auf die Betonung des Sexuellen, ein quasireligiöses Geheimbündlertum sowie den Umstand zurück, dass sie den Nerv der Zeit getroffen habe. Ein Katastrophenjahrhundert wie das 20. habe eine derartig nihilistische, absurde Glaubenslehre gebraucht.
Man muss bei der Lektüre die besonders hitzige Debatte um Freuds Erbe unter Frankreichs Intellektuellen berücksichtigen. Seit 2005 das "Livre noir de la psychanalyse", das "Schwarzbuch der Psychoanalyse", erschien, tobt dort ein erbitterter Kampf darum, was nun von der Psychoanalyse und ihren Vertretern zu halten sei. Im Nachwort zu seinem Buch klagt Onfray über die Anfeindungen und Verleumdungen, denen er ausgesetzt gewesen sei. Wer Freud kritisiere, werde beinahe reflexhaft als Reaktionär, Neurotiker und Antisemit hingestellt.
Ob man dem Autor umgekehrt besonderen Mut attestieren muss, ist fraglich – immerhin hat der Abgesang auf die Psychoanalyse eine durchaus treue Anhängerschaft. Eine profunde und nicht weniger vernichtende Generalkritik lieferte bereits Mitte der 1980er Jahre der Publizist Dieter E. Zimmer mit seinem Buch "Tiefenschwindel". Beschränkte sich dieser noch auf inhaltliche Schwachpunkte der Psychoanalyse, so hat es Onfray auf die Person Freud abgesehen: Der Franzose zeichnet das Bild eines Hochstaplers und egomanischen Gurus. Freilich haftet seinen Ausführungen vielfach der Geschmack bloßer Spekulation an.
Während man sich in Frankreich also offenbar nicht nur über den Wert der Psychoanalyse, sondern auch über die mangelnde moralische Integrität ihres Begründers echauffiert, wirkt die Empörung hier zu Lande doch reichlich antiquiert. Wer ein Faible für Abrechnungen hat und keine chronologische Nacherzählung von Freuds Leben und Werk sucht, mag an diesem Werk seine Freude haben. Die nächste "Gegendarstellung" dürfte nicht lange auf sich warten lassen.
In dieser mehr als 500 Seiten starken "Psychobiografie" stellt Onfray gleich zu Beginn klar: "Die Psychoanalyse ist so lange eine wahre und richtige Lehre, wie sie Freud und niemand anderen betrifft." Der Wiener Seelenkundler erscheint als ehebrecherischer, geltungssüchtiger, manipulativer Scharlatan. Starker Tobak also, wenn auch nicht sonderlich neu. Onfray reiht sich ein in eine lange Tradition des Psychoanalyse-Bashing, setzt diesem aber noch eins drauf, indem er immer wieder lustvoll unter die Gürtellinie schlägt.
Dass er einmal in einer Radiosendung die Anschuldigung zurückgewiesen habe, Freud sei ein sexbesessener, geldgieriger Lügner gewesen, bereue er heute, denn "die Vorwürfe sind berechtigt". Allerdings bleibt die argumentative Klarheit Onfrays doch oft hinter der Aufgeregtheit und immer wieder durchbrechenden Geschwätzigkeit seiner Ausführungen zurück.
Freud habe nichts weiter als einen Mythos erschaffen, denn Wissenschaft basiere auf Transparenz, Überprüfbarkeit und Rationalität – allesamt Prinzipen, die Freud und seine Adepten mit Füßen getreten hätten. Den Erfolg der Psychoanalyse führt Onfray auf die Betonung des Sexuellen, ein quasireligiöses Geheimbündlertum sowie den Umstand zurück, dass sie den Nerv der Zeit getroffen habe. Ein Katastrophenjahrhundert wie das 20. habe eine derartig nihilistische, absurde Glaubenslehre gebraucht.
Man muss bei der Lektüre die besonders hitzige Debatte um Freuds Erbe unter Frankreichs Intellektuellen berücksichtigen. Seit 2005 das "Livre noir de la psychanalyse", das "Schwarzbuch der Psychoanalyse", erschien, tobt dort ein erbitterter Kampf darum, was nun von der Psychoanalyse und ihren Vertretern zu halten sei. Im Nachwort zu seinem Buch klagt Onfray über die Anfeindungen und Verleumdungen, denen er ausgesetzt gewesen sei. Wer Freud kritisiere, werde beinahe reflexhaft als Reaktionär, Neurotiker und Antisemit hingestellt.
Ob man dem Autor umgekehrt besonderen Mut attestieren muss, ist fraglich – immerhin hat der Abgesang auf die Psychoanalyse eine durchaus treue Anhängerschaft. Eine profunde und nicht weniger vernichtende Generalkritik lieferte bereits Mitte der 1980er Jahre der Publizist Dieter E. Zimmer mit seinem Buch "Tiefenschwindel". Beschränkte sich dieser noch auf inhaltliche Schwachpunkte der Psychoanalyse, so hat es Onfray auf die Person Freud abgesehen: Der Franzose zeichnet das Bild eines Hochstaplers und egomanischen Gurus. Freilich haftet seinen Ausführungen vielfach der Geschmack bloßer Spekulation an.
Während man sich in Frankreich also offenbar nicht nur über den Wert der Psychoanalyse, sondern auch über die mangelnde moralische Integrität ihres Begründers echauffiert, wirkt die Empörung hier zu Lande doch reichlich antiquiert. Wer ein Faible für Abrechnungen hat und keine chronologische Nacherzählung von Freuds Leben und Werk sucht, mag an diesem Werk seine Freude haben. Die nächste "Gegendarstellung" dürfte nicht lange auf sich warten lassen.
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