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Eine dramatische Geschichte der Wissenschaft

Vom Urknall bis zur Gegenwart einschließlich der Entstehung des Lebens auf der Erde und möglicherweise anderswo: Das ist ein gigantischer Themenbogen. Viele haben sich daran versucht – der Markt wimmelt von derlei Titeln – und sind kläglich gescheitert. Ganz anders die viel gelesene Journalistin Dagmar Röhrlich. Auch sie gibt zum Schluss eine Antwort auf die Titelfrage "Hallo, ist dort draußen jemand?". Aber was ihr Werk so attraktiv und bemerkenswert macht, ist die leichtfüßige Hinführung des Lesers zum letzten Stand der Astronomie, Geologie, Biologie und Paläontologie. Jahrelange Auseinandersetzung mit dem Thema, gründliche Literaturrecherche, Hintergrundgespräche mit Forschern und Expeditionen zu den entlegensten Winkeln der Erde bilden die Basis für ihr geradezu im Plauderton gehaltenes Buch.

Dass der Big Bang vor 13,7 Milliarden Jahren stattfand, zählt mittlerweile zum Allgemeinwissen. Aber wem ist schon geläufig, dass dieses Ereignis 1630 von einem Gelehrten, der auch noch irischer Erzbischof war, auf den "Abend vor dem 23. Oktober des Jahres 4004 vor Christus, um sechs Uhr" datiert wurde? Dem bildungshungrigen Leser offeriert Röhrlich noch manch andere Episode aus der Wiege der Urknall-Theorie: etwa die Geschichte vom unermüdlichen und höchst exzentrischen Sir Fred Hoyle (1915 – 2001). Er war in den 1950er Jahren einer der eifrigsten Kritiker der Theorie des Weltalls, die damals noch "dynamisches Entwicklungsmodell" hieß, verspottete die Vorstellung von einem definierten Anfang des Universums als "großen Knall" ("Big Bang") – und musste erleben, wie sein Schimpfwort zum allgemein gebräuchlichen Namen der Theorie wurde.

Lange nach dem Anfang der Welt, als die "Singularität in einem unvorstellbar kurzen, grellen Lichtblitz ... zu werden beschloss", begann vor 4,6 Milliarden Jahren die Geschichte unseres Sonnensystems als "eine sehr staubige Angelegenheit". Die Erde hatte einst einen Zwilling, die marsgroße Theia. Sie stürzte vor 4,527 Milliarden Jahren in einem "Giant Impact" in die Erde und schlug den Mond heraus – eine ganz wichtige Voraussetzung für Leben auf unserem Planeten, doch beileibe nicht die einzige.

Flüssiges Wasser, Energie – nicht zu wenig, nicht zu viel –, ein Tag-Nacht-Rhythmus, Ebbe und Flut, Mineralien und manch anderes sind notwendig, erfährt der Leser, damit ein Leben entsteht, das den drei Kriterien von Gerald Joyse vom kalifornischen Scripps- Forschungsinstitut genügt: Seine Basis ist erstens Chemie. Zweitens wächst Leben und erhält sich selbst durch Stoffaustausch mit seiner Umgebung. Und drittens können sich lebende Organismen durch Mutation und Selektion zu immer komplexeren Wesen fortentwickeln.

Aber wie erfolgt der Übergang von unbelebter zu belebter Materie? Voller Erzählfreude zeigt die Autorin dem Leser das legendäre Experiment von Stanley Miller und Harold Urey (1953), in deren anorganisch angerührter Ursuppe überraschend organische Verbindungen schwammen, und schaut Watson und Crick bei der Entschlüsselung der DNA-Struktur über die Schulter. Doch trotz aller Verheißungen, dass "bald aus irgendeinem Rundkolben ein Käfer krabbeln würde", sei "die organische Chemie noch Lichtjahre weit von Biologie, von Leben entfernt". Hier hält sie es mit dem Exzentriker Hoyle, der die spontane Bildung von Leben, von ersten lebenden Zellen auf der Erde für ungefähr so wahrscheinlich gehalten hatte wie die zufällige Verwandlung eines Schrottplatzes in einen voll flugfähigen Jumbojet, wenn gerade ein Tornado über das Gelände wirble.

Auch wenn Hoyles Ideen mittlerweile als verfehlt erkannt sind, klaffen in den Theorien noch breite Lücken. Aber Röhrlich zeigt dem erkenntnisfrohen Leser viele interessante Bruchstücke, die in der wissenschaftlichen Community allerdings umstritten sind: skurrile Wesen aus Ton, die der schottische Molekularbiologe Alexander Graham Cairns-Smith postuliert, oder den Last Universal Common Ancestor LUCA, den letzten universellen gemeinsamen Vorfahren, den hypothetischen Überlebenden der gigantischen Katastrophen, welche die frühe Erde heimsuchten (Spektrum der Wissenschaft 4/2000, S. 52). Waren daran etwa Bio-Importe aus dem All beteiligt? Das glauben zumindest einige Wissenschaftler, die seit den 1960er Jahren mit dem Experiment Seti (Search for Extraterrestrial Intelligence) nach außerirdischer Intelligenz fahnden, seit 1999 mit Unterstützung tausender Freiwilliger per Internet.

Röhrlich nimmt den Leser mit auf ihre Suche nach den ältesten Zeugnissen von den Anfängen des Lebens und des Menschen auf unserem Planeten, auf Expeditionen in unwegsame Gefilde; nach Afrika, Australien, nach Grönland und in die Tiefsee. Sie lässt uns das Abenteuer hautnah miterleben; voller Exotik, Stimmung und Romantik.

Das Buch ist eine Zeitreise, eine dramatische Geschichte der Wissenschaft. Dabei wird der Weg immer fassettenreicher und unübersichtlicher; ein Ende ist noch nicht abzusehen. Und das Beste daran: Es liest sich wie ein Krimi – originell, voller überraschender Wendungen, herrlich frisch und spannend bis zur letzten Zeile.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 4/2007

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