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Astronomische Entdeckungen

Das zu Beginn des 17. Jahrhunderts auftauchende Teleskop zählt zweifelsohne zum illustren Kreis der größten Erfindungen überhaupt, weil es den menschlichen Horizont in den Kosmos erweiterte. Bekanntlich hält der Mensch gerne Rückschau und begeht Jubiläen, weshalb zum Internationalen Jahr der Astronomie IYA 2009, das 400 Jahre teleskopische Himmelskunde feierte, gleich mehrere astronomiehistorische Bücher erschienen. Zwei besonders gelungene Werke über bedeutsame astronomische Entdeckungen liegen nun in deutschsprachigen Versionen vor und sollen hier vorgestellt werden: zum einen der vom Kosmos Verlag veröffentlichte Bildband des niederländischen Astronomie-Journalisten Govert Schilling, zum anderen das aus dem Englischen übersetzte Buch des am Institute of Astronomy der Cambridge- University lehrenden Paul Murdin.

Beide schwergewichtigen Werke sind durchweg ansprechend gestaltet und rangieren auf derselben Augenhöhe, obwohl sie sich bereits auf den ersten Blick in Umfang und Art ihrer Darstellung unterscheiden, und verschiedene Schwerpunkte setzen. Das großformatigere Buch von Govert Schilling präsentiert 100 Entdeckungen auf 240 Seiten und nutzt für jedes Kapitel eine Doppelseite, auf der ein Text einer ganzseitigen Fotografie gegenübergestellt ist. Paul Murdin beschränkt sich auf 65 Entdeckungen, widmet ihnen aber jeweils breiteren Raum: Sein Werk umfasst 342 Seiten.

Während Schilling mit jenen berühmten Entdeckungen Galileis im Sonnensystem – der Mondberge und der vier großen Jupitermonde – beginnt, die erst mit dem Teleskop möglich wurden, spannt Murdin einen weiteren Bogen. Er setzt bereits in der vorteleskopischen Zeit an, und wirft einen Blick auf die frühesten Zeugnisse der Beschäftigung des Menschen mit dem Firmament.

Auch der Aufbau beider Werke ist unterschiedlich: Während sich die hundert einzelnen Kapitel bei Govert Schilling strikt chronologisch aneinanderreihen, folgen die Themenabschnitte bei Paul Murdin einer anderen Logik. "Entdeckungen" sind hier eher als Schritte dargestellt, die zu jenem Gesamtbild führten, das die Astronomie heute bietet. So sind auch die abschließenden vier Kapitel offener Fragen beziehungsweise zukünftiger Entdeckungen zu verstehen: Murdin stellt den derzeitigen Erkenntnisstand der großen Rätsel "Dunkle Materie", "Dunkle Energie" und "Gravitationswellen" dar und schließt mit einem Ausblick auf die Frage aller Fragen nach Leben außerhalb unseres Heimatplaneten.

Beide Bücher sind in der Zusammenschau interessant, unabhängig davon, dass es sich um zwei echte Perlen der Astronomieliteratur handelt: Ihre unterschiedliche Herangehensweise verrät nebenher viel über sinnvolle didaktische Methoden. Das Ansinnen Govert Schilings, astronomisches Wissen dauerhaft in den Köpfen seiner Leserschaft zu verankern, ist in jedem seiner Kapitel augenfällig. Der Autor arbeitet viel mit Anekdoten, die aber in keinem Fall aufgesetzt wirken. Immer sind sie einprägsam und häufig vermitteln sie selbst altbekannten Themen einen neuen Zugang.

Nachhaltig wirken viele der Anekdoten, weil sie als Eselsbrücken fungieren. Um ein Beispiel zu nennen: Weshalb kennt heute keiner das Aussehen des Entdeckers des Großen Roten Flecks auf Jupiter? Von Robert Hooke ist kein Bildnis überliefert, weil es vermutlich Isaac Newton höchstselbst war, der Hookes Porträt der Royal Society nach dessen Tod verschwinden ließ. Beide lagen über lange Jahre in Dauerclinch. Wer seinen Wissensspeicher also effizient mit Astronomiefakten füttern möchte, wird am Buch von Schilling seine helle Freude haben.

Wer weiter in die Tiefe gehen möchte, liest das Werk von Murdin. Er nutzt neben breiterem Raum insbesondere Darstellungen, die vielschichtiger sind als beim Buch aus dem Kosmos-Verlag. Als anschauliche Auflockerung dienen hier zahlreiche Porträtfotos bedeutender Forscher und Forscherinnen, die einheitlich in rundem Format eingestreut sind.

Die Kapitel bei Murdin sind durchweg miteinander "vernetzt": An vielen Begriffen finden sich Querverweise zu anderen Kapiteln seines Buchs, und schaffen so viele Optionen vertiefender Lektüre. Auch das ist ein durchaus überzeugendes didaktisches Mittel.

Sowohl Schilling als auch Murdin eignen sich bestens auch zur schnellen Vertiefung eines Einzelthemas, und sind durch ihre Anschaulichkeit jeder Enzyklopädie überlegen. Beide Werke verstehen es gleichermaßen virtuos, den Leser in seinen Bann zu ziehen, indem sie ein astronomisches Mosaiksteinchen an das andere reihen. Beim Schilling liegt in der Kürze die Würze; er bringt es in wenigen Sätzen auf den Punkt. Auffällig ist seine präzise Sprache. Auch der Übersetzerin Helmke Mundt gebührt ein hohes Lob – und freilich dem Lektorat des Kosmos-Verlags. Die Sorgfalt glänzt aus jedem einzelnen Wort, das an exakter Stelle zu stehen scheint. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dies an den doppelseitigen Einführungen, die dem Werk an sich sowie jeder der insgesamt fünf Obergruppen vorangestellt sind, welche die Entdeckungsphasen zu größeren Zeitabschnitten zusammenfassen. Desgleichen ist das Buch von Murdin sehr gut aus dem Englischen übertragen, und hervorragend lesbar, wenngleich seine Sprache nicht ähnlich literarischen Glanz verstrahlt wie diejenige von Govert Schilling.

Sollte sich nun die Frage stellen, welches der beiden großartigen Werke dem anderen vorzuziehen sei, so möchte ich auf die eingangs formulierte Bewertung verweisen: Beide Bücher sind in selbem Maße absolut hochwertig und ergänzen einander auf ungewollte Weise. Ihr Geld sind beide "Entdeckungswälzer" in jedem Fall wert, und bieten auch all jenen, die sich bereits seit Langem mit Astronomie beschäftigen, viel Neues und Raum für eigene Entdeckungen.
  • Quellen
Sterne und Weltraum 7/2010

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