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Reisefieber als Überlebensstrategie

Diese großformatige und bunt illustrierte Einführung in die Grundlagen des Vogelzuges von Jonathan Elphick richtet sich in erster Linie an Einsteiger: Die vielen farbigen, teils aufwändig gestalteten Abbildungen erleichtern Neu-Ornithologen und wissenschaftlichen Laien den Umgang mit dem sehr komplexen Thema "Vogelzug".

Dabei ist der Titel "Atlas" vielleicht etwas irritierend – auch wenn das Buch sehr viele Karten enthält. Denn das Werk gliedert sich zwar in Kapitel über einige Großregionen der Erde, es ist aber kein geografisches Nachschlagewerk mit entsprechendem Ortsregister. Jonathan Elphick hat sich vielmehr ein paar beispielhafte Arten herausgepickt, deren Zugverhalten er kurz charakterisiert. Ob die dargestellten Zugwege und -strategien "typisch" für die jeweiligen Familien oder Gattungen sind, bleibt jedoch offen. Dennoch bekommt man einen Eindruck von der Vielgestaltigkeit des Vogelzuges von Sing- und Greifvögeln, Kranichen oder Enten.

Das einleitende Kapitel informiert über verschiedene Aspekte des Wanderungsphänomens – etwa über Entstehung, Flugtechniken, Navigation, Einfluss von Wetter und Klima. Schnell wird klar, dass das Thema multidimensional ist. Im Hauptteil beginnt der eigentliche "Atlas": Es werden nacheinander ausgewählte nordamerikanische, eurasische und arktische Brutvögel vorgestellt. Letztere werden in dem Kapitel "Wintergäste aus dem hohen Norden" besprochen, sind aber selbstverständlich ebenfalls nordamerikanisch und/oder eurasisch. Abschließend behandeln drei sehr kurze Kapitel die "südhemisphärischen" Brutvögel, Wanderbewegungen von Hochseevögeln sowie Arten, die unregelmäßig ziehen.

An dieser Einteilung wird deutlich, dass das Augenmerk klar auf der Nordhalbkugel liegt. Leider kommt es durch diese Perspektive auch zu unglücklichen Formulierungen. Ein Beispiel: "Auf der Nordhalbkugel sind die Sommer warm und Winter kalt." Ist dies südlich des Äquators andersherum? Sind hier etwa die Winter warm? Natürlich nicht. Hier heißen die kalten Monate lediglich anders: Juni, Juli und August. Es kommt hin und wieder zu Erklärungen, die die tierische Welt mit menschlichen Maßstäben misst: Vögel "genießen den Sommer" oder "messen ihre Kräfte mit den Elementen". Solche Dinge gehören nicht in ein Buch, das sich mit biologischen Verhaltensmustern beschäftigt.

Auf der anderen Seite kann es Elphick selbst nicht angelastet werden, wenn die deutsche Übersetzung unscharf ist. So findet man im Register noch immer den Schwarzschnabel-Sturmtaucher und den Gelbschnabel-Sturmtaucher; an anderer Stelle wird von der Schafstelze gesprochen. Diese drei Artnamen wurden jedoch bereits im Jahre 2005 durch die "Artenliste der Vögel Deutschlands" von Peter H. Barthel und Andreas J. Helbig (http://www.do-g.de/pdf/Artenliste2005K.pdf) ersetzt durch Atlantik- und Sepiasturmtaucher sowie Wiesenschafstelze. Sicher: Man muss sich nicht an diese Konvention halten, es ist aber sehr nützlich, dies zu tun, wenn man sich mit anderen Gleichgesinnten austauschen will. Eine der vorgestellten Arten gibt jedoch es gleich gar nicht: den "Weißkopfadler", der gemäß Bildunterschrift gleich auf dem ersten Vogelfoto zu sehen ist. Hier handelt es sich um einen Weißkopf-Seeadler, den berühmten US-amerikanischen Wappenvogel.

Neben solch "fachlichen" Unzulänglichkeiten gibt es aber auch Kurioses: "Viele Alke werden flügge, bevor sie fliegen können"... – das tut schon fast weh. All dies mag kleinkariert erscheinen, aber: Das Buch richtet sich an Laien, die (noch) keine Möglichkeit haben, die gedruckten Informationen kritisch zu hinterfragen.

Der "Atlas des Vogelzuges" lebt – wie viele Werke, die für Einsteiger gemacht sind – von griffigen optischen Elementen. Dies gilt gleichermaßen für den Text wie für die Grafiken und Fotos. Schön sind insbesondere die Vogelzeichnungen. Diese geben den natürlichen Eindruck der Art wieder, ohne die besonderen Merkmale eines Individuums hervorzuheben, wie dies bei Fotos der Fall ist – eine hohe Kunst! Auch die Grafiken und Diagramme sind sehr aufwändig gezeichnet, nehmen aber leider auch oft zu viel Raum ein. Ähnliches gilt auch für die häufig ganzseitigen Fotos. Insgesamt wirkt es, als wenn etwas mehr Inhalt suggeriert werden sollte, als tatsächlich vorhanden ist. Hin und wieder besteht der Eindruck , dass dem Herausgeber ohne die großen Abbildungen der Seitenumfang zu gering gewesen wäre.

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