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Pleiten, Pech und Pannen

Alle reden von Apollo und dem Flug zum Mond, der sich 2009 zum 40. Mal jährte, da bringt der Wissenschaftsjournalist Gerhard Hertenberger ein Buch über die russische Raumfahrt heraus: "Aufbruch in den Weltraum – Geheime Raumfahrtprogramme, dramatische Pannen und faszinierende Erlebnisse russischer Kosmonauten". Vielleicht ist der Zeitpunkt gar nicht so schlecht gewählt, denn das Apollo-Jubiläum steigert das Interesse an Raumfahrtthemen. Und ein Buch, das von der Raumfahrt auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs handelt, ist da vielleicht eine gute Ergänzung. Außerdem hat die Öffnung der ehemals sowjetischen Raumfahrtarchive noch einen viel zu geringen Niederschlag bei den deutschsprachigen Buchtiteln gefunden.

Grund zur Geheimhaltung gab es für die Sowjets genug. Da war zum einen das Projekt um die Mondrakete N1. Hätten die Russen ihre Mondpläne von vorneherein offen bekannt gegeben, hätten sie zugegeben, sich in einem Wettlauf mit den Amerikanern zu befinden, dessen schlechter Ausgang für sie früh absehbar war. Andere Projekte sind aus noch offensichtlicheren Gründen geheim gewesen. Da wären zum Beispiel die militärischen Spionagestationen Almaz, die sogar bewaffnet waren, oder auch das militärische Raumfahrtprojekt Polyus – eine direkte Antwort auf den "Krieg der Sterne" des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan. Es ist der Weitsichtigkeit Michail Gorbatschows zu verdanken, dass diese furchterregenden orbitalen Kampfstationen nicht realisiert wurden.

Es gibt aber noch einen anderen Grund dafür, dass viele Puzzlestücke der russischen Raumfahrtgeschichte erst heute bekannt sind. Der Ausgang zahlreicher Missionen eignete sich nämlich nicht für die glorreiche Propaganda vom fortschrittlichen Sowjetmenschen. Gerhard Hertenberger berichtet beispielsweise von Kosmonauten, die zwei Nächte in sibirischer Kälte verbringen mussten, weil sie zu weit vom geplanten Landeort runterkamen, oder die bei der Landung erstickten, weil sich ein Belüftungsventil zu früh öffnete. Überhaupt erinnern die "faszinierenden Erlebnisse der russischen Kosmonauten", wie es im Untertitel des Buches heißt, an eine Pleiten-Pech-und-Pannen-Show – leider oft mit dramatischen Ausgang. Natürlich hat es auch in der amerikanischen Raumfahrt Katastrophen gegeben, doch wurden diese meist zeitnah und öffentlich verarbeitet.

Beim Lesen des Buches von Gerhard Hertenberger entsteht außerdem der Eindruck, dass das oft gerühmte Improvisationstalent der Russen eher ein Handikap war. Da verschwinden Radioisotopengeneratoren, weil sich Wachsoldaten die Hütte heizen wollen und arbeiten Konstrukteure und Techniker in schadhaften, feuchten und ungeheizten Gebäuden. Es mangelte (und mangelt) an den äußeren Bedingungen, die Voraussetzung für qualifizierte Arbeit ist. "Unsere Aufgabe ist kosmisch, unser Gehalt komisch", zitiert Reinhold Ewald in seinem Vorwort zum Buch einen beliebten Spruch russischer Raumfahrer.

Ein Resümee wie dieses muss sich der Leser aber schon selbst zusammenreimen. Der Autor lässt ihn da im Stich. Ohne roten Faden springt er von Anekdote zu Anekdote, vom Start eines Weltraumvehikels zum nächsten. Die Kosmonauten durchleiden ihre teils tödlichen "faszinierenden Erlebnisse" und bevor man sich ein Bild gemacht hat, springt der Autor zur nächsten Kapsel, Sonde oder Raumstation. Was aber empfanden beispielsweise die Angehörigen des Kosmonauten Wladimir Komarow, der 1967 beim Testflug des Raumschiff Sojus starb? Wie kann es sein, dass ein so relativ simples System wie der Landefallschirm versagte? Was sagen die Verantwortlichen von damals heute dazu? War es das Risiko wert? Das sind Fragen, die ich gerne beantwortet haben würde in einem Buch, das von einem Wissenschaftsjournalisten geschrieben wurde.

Ein anderes Beispiel für die Hektik, mit der der Autor durch die russisches Raumfahrtgeschichte eilt, ist seine Beschreibung des Erstfluges des Buran – der russischen Variante des amerikanischen Spaceshuttle. In einem eigenen Unterkapitel berichtet der Autor von dem Flug, nur um dann im gleichen Unterkapitel von einer völlig anderen Mission zu sprechen. Warum aber der Buran nur einmal flog, warum sich Russland von diesem System trennte, wer dafür und wer dagegen war, erfährt der Leser leider nicht.

Insgesamt bietet das Buch zu wenig Originalquellen und O-Töne, was der Autor oft durch die inflationäre Verwendung von Ausrufezeichen kaschiert. Kleine Kostprobe gefällig? "Kurz vor dem Start warnten Meteorologen sogar vor drohendem Hagel! Erstaunlicherweise gaben die Verantwortlichen trotzdem grünes Licht für den Start!" Ein Ausrufezeichen ersetzt einfach nicht die Begründung, warum Hagel gefährlich ist und trotzdem gestartet wurde.

Gerhard Hertenberger hat ja recht, wenn er in seiner Einleitung darauf hinweist, dass längst nicht alles über die russische Raumfahrt gesagt wurde: "Jahrzehntelang war es sehr schwer, die Oberfläche der offiziellen Verlautbarungen zu durchdringen und die verborgenen, faszinierenden Geschichten der russischen Weltraumexpeditionen freizulegen, die vielfach strengster Geheimhaltung unterworfen waren. Im deutschen Sprachraum gibt es bisher nur wenige Bücher, die tiefer in diese Welt voll Spannung und Dramatik eintauchen." Sein Buch bietet einen Einstieg in das Thema. Ein bisschen mehr journalistische Recherche und mehr Mut zur Bewertung hätte ich mir aber dann doch gewünscht.

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