Direkt zum Inhalt

Volumen aus dem Nichts

Es ist möglich, eine Kugel im dreidimensionalen Raum in endlich viele Stücke zu zerlegen und diese dann so zusammenzusetzen, dass zwei Kugeln entstehen, die genau so groß sind wie die erste. Dieser erstaunliche Satz der Mengenlehre wurde 1924 von den polnischen Mathematikern Stefan Banach (1892 – 1945) und Alfred Tarski (1901 – 1983) formuliert und bewiesen. Allerdings haben die Teilstücke der Zerlegung keine anschaulich verständliche Form. Vielmehr sind diese Punktmengen nicht messbar, das heißt so bizarr, dass man ihnen kein Volumen zuschreiben kann.

Offensichtlich hat der dreidimensionale mathematische Raum Eigenschaften, die es in der physischen Realität nicht gibt. Um die Existenz solcher Punktmengen zu beweisen, benötigt man das Auswahlaxiom, jene merkwürdige Aussage, die nicht dieselbe Selbstverständlichkeit genießt wie die klassischen Axiome der Mengenlehre nach Zermelo und Fraenkel. Denn mit diesen ist das Auswahlaxiom ebenso gut vereinbar wie sein Gegenteil (Spektrum der Wisenschaft 3/2009, S. 54).

Leonard Wapner, Professor für Mathematik am El Camino College in Torrance (Kalifornien) und seit 30 Jahren in der mathematischen Didaktik aktiv, führt in seinem Buch all diese Grundlagen, Beweise und Erkenntnisse ein und verfasst nebenbei sogar eine Einführung in die Mengenlehre. Dabei geht er, den Leser stets an die Hand nehmend, sehr systematisch vor. In der nicht zu ausschweifenden Einleitung erklärt er die Struktur seiner Darstellung und nimmt später ausgiebig darauf Bezug: mindestens zu Beginn und Ende eines jeden Kapitels, manchmal zu häufig. Das hilft die Motivation und schließlich auch die Beweisidee nachzuvollziehen.

Während in den ersten Kapiteln die Geschichte und die an der Entdeckung beteiligten Mathematiker im Vordergrund stehen, bringt Wapner später mathematische Grundlagen, weitere Paradoxien sowie schließlich die schwache und die starke Formulierung des Satzes und deren Beweis.

Jedem Kapitel ist ein Spruch vorangestellt, von der Warnung des Kirchenvaters Augustinus ("Es besteht nämlich die Gefahr, dass die Mathematiker mit dem Teufel im Bund den Geist trüben …") bis zu dem Satz "Mathe ist schwer", der einer sprechenden Barbie- Puppe einprogrammiert war und deren Hersteller große Entrüstung eintrug. Diese inhomogene Zusammenstellung zieht sich leider wie ein roter Faden durch das Buch.

Einige Kapitel sind entbehrlich. Statt einer ellenlangen Aufzählung von Skurrilitäten, die mit dem Banach-Tarski-Paradox nichts zu tun haben, hätte Wapner ruhig die gelungenen, aber etwas zu kompakten theoretischen Kapitel, die für den Beweis des Theorems die nötigen Sätze und Definitionen einführen, ausweiten können, um so den unvertrauten Leser besser abzuholen.

Sprachlich ist das Buch sehr ungesund geschrieben. Liegt es daran, dass es dem Stil der Bücher "für Dummies" folgt, oder ist die Übersetzung schlecht? Beides, fürchte ich. Einige typisch englische Redewendungen wurden direkt und ohne Nachdenken ins Deutsche übersetzt. Und beinah alle fünf Seiten werden wir daran erinnert, dass das Banach-Tarski-Paradox Kugeln verdoppelt. Da fühlt man sich nicht gerade ernst genommen.

Auch die Zielgruppe ist mir nicht ganz klar geworden. Der Autor stellt ausschweifend die Motivation, die Geschichte und die mathematische Entwicklung zum Banach- Tarski-Paradox hin vor. Das liest sich durchaus erfrischend. Sobald es aber an die echte Mathematik geht, nimmt Wapner so sehr Fahrt auf, dass es selbst dem Fachkundigen schwerfällt, ihm zu folgen. Während er in manchen Passagen den Leser seitenweise mit Elementarem langweilt, überfordert er ihn an den Stellen, die wichtige mathematische Grundlagen bieten. Wer da ohne Vorkenntnisse hineingerät, wird vermutlich verloren gehen, ohne genau zu wissen, an welcher Stelle er den inhaltlichen Fluss verlassen hat.

All dieser Kritik zum Trotz hat das Buch einem interessierten Leser durchaus viel zu bieten. Das Paradox ist ein spannendes mathematisches Ergebnis, und durch das Buch erkennt man seine Bedeutung und auch den Aufwand, der hinter der so einfach zu beschreibenden Verdoppelung von Kugeln steckt. Die mengentheoretischen Ausführungen jedenfalls gehen in ihrer Tiefe bedeutend über das bei populärwissenschaftlichen Sachbüchern Übliche hinaus.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft, 07/2009

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.