An alle bunten Zebras
Fühlen Sie sich auch manchmal so, als gehörten Sie nicht dazu? Kommen Sie sich fremd und unverstanden vor? Haben Sie den Eindruck, Ihre besonderen Fähigkeiten seien in der heutigen Gesellschaft fehl am Platze? Dann sind Sie womöglich eines der "bunten Zebras", die Anne Heintze mit ihrem Buch ansprechen möchte. Die Therapeutin und Lebensberaterin drückt sich gern in Bildern aus, und so schreibt sie, dass unsere Welt überwiegend von Haflingern (einer Pferderasse mit relativ einheitlicher Farbe) bewohnt sei – ein Umfeld mit hohem Konformitätsdruck, in dem es sogar schwarzweißen Zebras schwerfiele, sich anzupassen. Um wie viel schwerer müssten es da erst bunt gestreifte Zebras haben! Häufig, so die Autorin, wissen diese "schrägen Tiere" nicht einmal, welch außergewöhnliche Seiten sie haben – geschweige denn, welches Potenzial darin liegt. Genau dem möchte Heintze mit ihrem Werk entgegen wirken.
Die Autorin hat vor allem Hochbegabte, Hochsensible und Hochsensitive im Blick. Während sich unter Hochbegabung jedermann etwas vorstellen kann, wird es bei den anderen beiden Menschentypen schon schwieriger, denn nicht einmal Fachleute können diese scharf definieren. Hochsensibilität geht vermutlich mit einem gesteigerten Reaktionsvermögen des Nervensystems einher, Betroffene sind daher auf mehreren Sinneskanälen empfindlicher und schnell überreizt. Unter Hochsensitivität versteht Heintze ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen sowie ein Gespür für Künftiges. Wissenschaftler befassen sich erst seit 1997 mit dem Thema, als die amerikanische Psychologin Elaine E. Aaron das Buch "The Highly Sensitive Person" veröffentlichte. Die Forschung steckt dementsprechend noch in den Kinderschuhen.
Daher betont Anne Heintze bereits zu Beginn des Werks, sich nicht auf anerkannte Befunde, sondern ihre Erfahrung zu berufen. Ihre Ausführungen stützen sich auf 25 Jahre Berufspraxis und sind an einigen Stellen mit einer Prise Gesellschaftskritik versehen. Der Autorin geht es nicht darum, ein wissenschaftlich fundiertes Werk vorzulegen. Vielmehr möchte sie erreichen, dass sich Hochbegabte, -sensitive und -sensible in ihren Beschreibungen wiedererkennen und womöglich zum ersten Mal richtig verstanden fühlen. Mit konkreten Fallgeschichten möchte Heintze ihre Leser möglichst intensiv ansprechen und Lebensnähe erreichen. Wen diese Geschichten überhaupt nicht interessieren, der kann sie einfach überspringen und zum nächsten Kapitel voranschreiten.
Auf den ersten Blick wirkt das Buch mit seinen vielen Über- und Unterkapiteln gut strukturiert. Während des Lesens verliert man sich jedoch schnell in den einzelnen Themen und stellt fest, dass das Buch eine starke innere Redundanz aufweist, etwa indem es wieder und wieder auf die besonderen Bedürfnisse "bunter Zebras" eingeht. Leicht kann so der Überblick abhanden kommen und die Aufmerksamkeit abschweifen. Die vielen Wiederholungen fangen spätestens nach dem ersten Drittel des Buchs an, zu stören. Ohne sie wäre das Werk vermutlich deutlich kürzer und enthielte auch nicht so viele Rechtschreibfehler und Layout-Fauxpas.
Wer sich als Hochbegabter, Hochsensitiver oder Hochsensibler nach leicht verständlicher Lektüre über die eigenen Besonderheiten sehnt, kann Heintzes Werk einiges abgewinnen. Es ist sehr stark alltagsbezogen und bietet mit den Selbstbeschreibungen von Betroffenen eine gute Gelegenheit, sich in anderen wiederzuerkennen und Anregungen für die eigene Lebensgestaltung zu erhalten. Wer allerdings auf wissenschaftlich fundierte Ratgeber setzt, sollte sich lieber nach anderen Titeln umsehen.
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