Neurobiologie im Plauderton
"Hier erwartet Sie die volle Dröhnung Neurobiologie!" Henning Beck warnt gleich in der Einleitung, sein Buch sei kein Ratgeber zu der Frage, wie man besonders kreativ werden könne – und korrigiert damit den Eindruck, den der etwas alberne neudeutsche Untertitel "Speed up your mind!" suggeriert. Dem Ulmer Biochemiker geht es vielmehr um Wissenschaft, um die "Biologie des Geistesblitzes".
Tatsächlich verspricht der Autor nicht zu viel. Detailliert erklärt er zunächst den Aufbau des Gehirns. Dann taucht er tief in die Zellbiologie ab, zerlegt Neurone in ihre biochemischen Einzelteile und widmet dabei auch den oft unterschätzten Helferzellen des Nervensystems ein Kapitel. Wie eine Nervenzelle funktioniert und "rechnet", erfährt der Leser im dritten Teil des Buchs. Ziemlich theoretisch wird es im vierten Teil, der die Netzwerk-Rechentricks unserer grauen Zellen sowie technische Methoden der Bildgebung beschreibt. Erst am Schluss geht Beck auf die Kreativität ein – um schließlich doch ein paar Kniffe vorzustellen, mit denen sich das Gehirn besser nutzen lässt.
Ein nüchternes Sachbuch also? Keineswegs. Denn Henning Beck ist nicht nur Biochemiker und Neurowissenschaftler, sondern auch Deutscher Meister im "Science Slam" 2012 (der Begriff lehnt sich an "Poetry Slam", Dichterwettstreit, an). Bei diesem Vortragswettbewerb versuchen Wissenschaftler ihr Forschungsgebiet in zehn Minuten besonders verständlich, mitreißend und witzig zu präsentieren. Und so versteht sich die "Biologie des Geistesblitzes" auch als "Science Slam, der sich als Buch verkleidet hat". Wir erfahren darin etwa, was das Gehirn, das mit seinem hohen Fettanteil einem "halbfesten Schnittkäse aus dem Supermarkt" ähnelt, in Wirklichkeit ist: "ein selbstverliebter,fauler und eitler Haufen von divenhaften Nervenzellen". Aufgelockert wird das Ganze – wie bei einem echten Science Slam – durch "Zwischenrufe" wie: "Hilfe, ein Gen! Das ist doch gefährlich!"
Mit amüsantem Plauderton und witzigen Grafiken versteht es der Autor, sein Fach dem Leser nahezubringen. Auch wenn sich Beck für die "manchmal doch recht drastischen Simplifizierungen" entschuldigt, fehlt es seinem Werk nicht an Tiefgang. Ein Glossar erklärt die wichtigsten Fachbegriffe, und dem hartgesottenen Publikum wünscht der Autor ironisch "viel Spaß" beim Durchackern der im Literaturverzeichnis aufgeführten Fachartikel.
Trotz der lockeren Sprache dürfte mancher Leser Schwierigkeiten haben, im Dickicht der Neurobiologie den Durchblick zu behalten. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird einiges über sein Denkorgan erfahren und etliche falsche Vorstellungen ablegen. So arbeitet das Gehirn eben nicht präzise wie ein Computer, vielmehr beruhen seine Leistungen auf seiner Unvollkommenheit. Es besteht auch nicht – wie manche Illustration uns glauben macht – aus einem großen, leeren Raum mit ein paar schicken Neuronen darin. Ebenso wenig ist "die rechte Hirnhälfte kreativ" oder "nutzt man nur zehn Prozent seiner Hirnfunktionen". Mit solchen Irrtümern räumt Beck gründlich auf. Am Ende muss er dennoch zugeben,dass das Gehirn auch für Hirnforscher großteils ein Rätsel bleibt.
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