Schreibspaß, Lesefrust. David Bodanis scheitert an der Realisierung einer eigentlich ganz spritzigen Buchidee
„Kurzum: es hat Spaß gemacht, dieses Buch zu schreiben.“ Mit diesem Fazit beschließt der Publizist David Bodanis glaubhaft seine Monographie über die wohl schillerndste aller naturwissenschaftlichen Formeln: E=mc2. Leider nur ist der Mordsspaß beim Abfassen streckenweise mit dem Autor durchgegangen. Die an sich ulkige Idee, einer einzigen physikalischen Gleichung eine ganzes Buch zu widmen — mit einleitenden Kapiteln zu „E“, zu „=“, zu „m“, zu „c“ und zu „hoch 2“ — leidet von vornherein an der misslungenen Gewichtung von themarelevanten und -irrelevanten Inhalten. Gern hätte man beispielsweise etwas über die mentalitätsgeschichtlichen Auswirkungen der Relativitätstheorie in den 20er Jahren erfahren, als sich die Rezeption der Einsteinschen Physik in der Tagespresse folgenreich mit politischen und Weltanschauungsfragen mischte und nahezu jedermann über die Gleichheit von Energie und Masse, über Längenkontraktion und Zeitdilatation philosophierte. Stattdessen werden Bodanis‘ Leser großzügig mit Beiläufigkeiten aus dem Leben dieses Vorläufers oder jenes Nachfolgers von Einstein bedacht. Doch das ist noch nichts gegen die eifrig vom Autor propagierten wissenschaftshistorischen Unwahrheiten im Kernstück seiner Sensationsgeschichte über die berühmte Zauberformel. Unschön ist hier vor allem die tendenziöse Darstellung von Werner Heisenbergs Beteiligung an den Versuchen, Einsteins Gleichung in Gestalt einer funktionstüchtigen „deutschen“ Atombombe eine eindrückliche empirische Bestätigung zu verleihen. Bodanis scheut weder implizite noch explizite Sprachmittel, den im Hitler-Deutschland verbliebenen Physiker als beflissenen politischen Überzeugungstäter zu verkaufen, der sich dem NS-Regime immer wieder neu anbiedert, eine „Uranbombe“ mit unvorstellbarer Sprengkraft zu bauen — und das natürlich auf dem Rücken von KZ-Insassen! Dass der Physiker Heisenberg bis etwa 1941 aus ideologieimmanenten Gründen vielmehr einen extrem schwachen Rückhalt bei den politischen Machthabern hatte und dass das Heereswaffenamt an alles Andere dachte als an eine breite Förderung „jüdischer“ Physik, pervertiert unter Bodanis‘ Feder in die historisch falsche Aussage, das „Dritte Reich“ hätte beim Bau der Bombe gegenüber den Alliierten dank Heisenbergs Initiative einen eigentlich unaufholbaren Vorsprung von zwei Jahren intensiver Forschung gehabt. Ansonsten präsentiert das Buch in seichtem Plauderton die wichtigsten Vor- und Nachläufer Einsteins sowie die Bedeutung seiner Formel nicht nur für das Militär, sondern auch für die Astrophysik. Der Bogen spannt sich dabei von Faraday bis Chandrasekhar. Bleibt am Ende die Frage nach dem irreführenden Titel der deutschen Übersetzung: „Bis Einstein kam“ erweckt den Eindruck, als handle es sich hier um eine Darstellung der klassischen Physik bis zu ihrer Vollendung durch die Relativitätstheorie. Stattdessen dreht sich alles nur um die eine Formel. Der Originaltitel, wortgetreu übersetzt, hätte es doch getan: „E=mc2: A Biography of the World's Most Famous Equation“!
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben