Kein Egoismus
Gleich zu Beginn stellt der Autor klar: "Egoisten sind keine 'Ich-bezogenen', sondern 'Ich-lose' Menschen." Erst dieser Mangel stürze sie in die verzweifelte Suche nach der eigenen Identität – und damit in die Ich-Sucht. Da eine funktionierende Gesellschaft aber kaum von Egoisten geschultert werden kann, hat der Psychologe und promovierte Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch es sich zur Aufgabe gemacht, die Faktoren zu benennen, mit denen Menschen zu "Ich-starken" Persönlichkeiten heranreifen können.
Das entscheidende Konzept dafür ist dem Autor zufolge die (psychische) Resilienz, die Widerstandsfähigkeit gegenüber belastenden äußeren Einflüssen oder Lebensereignissen. Erst sie mache uns zufrieden, einfühlsam und kooperativ – und befähige uns damit, uns sowohl um uns selbst als auch um andere zu sorgen. Doch stellt der Autor fest: "Eine auskömmliche Widerstandsfähigkeit ist das, was modernen Menschen immer mehr fehlt."
Frühe Weichenstellung
Die Entwicklung eines Menschen wird maßgeblich in der Kindheit geprägt. Folgerichtig setzt Wunsch dort zuerst an. Er warnt vor negativen Einflüssen im Kindesalter, etwa Verwöhnung, und nimmt unter anderem Bezug auf die Bindungstheorien des britischen Kinderpsychiaters John Bowlby. Zudem geht er auf das motivationspsychologische Modell der Psychologen Heinz Heckhausen und Peter Gollwitzer ein, das beschreibt, wann aus einem Wunsch ein Motiv wird und daraus wiederum eine Handlung. Schnell wird klar: Ob wir ein starkes "Ich" erlangen oder nicht, hängt unter anderem von ganz einfachen Dingen ab, beispielsweise der richtigen Ernährung. Am Ende des Buchs zeigt der Autor auf, wie sich Selbstwirksamkeit, also der Glaube daran, aus eigener Kraft Dinge bewältigen zu können, und Resilienz gezielt fördern lassen. Schön sind die kleinen Selbsterkundungsaufgaben, die er seinen Lesern stellt, damit diese ihre Willensstärke testen können.
Leider lässt Wunsch es bisweilen an Objektivität vermissen. Er lehrt unter anderem an der Katholischen Hochschule Köln, woraus sich vielleicht erklärt, dass er oft christlich-konservativ argumentiert. Spätestens beim umstrittenen Thema Kinderbetreuung wird sein Buch zum Pamphlet: Dem "latent destablisierendem Einfluss intensiver Krippenbetreuung" widmet der Autor ein ganzes Kapitel, das er erkennbar voreingenommen mit ausgewählten Forschungsergebnissen belegt. Verschiedene Studien zur Krippenerziehung liefern oft stark voneinander abweichende Ergebnisse, die sich aus methodischen Gründen schwer vergleichen lassen. Wunsch bemängelt nur solche Untersuchungen, die seine Argumentation nicht stützen – und erkennt die anderen kritiklos an. Ein Manko, das den Gesamteindruck des Werks deutlich schmälert.
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