Physikalische Knobeleien
Kann man eine unters Sofa gekullerte Garnrolle am Faden hervorziehen, oder rollt sie sich bei dem Versuch nur ab? Und wenn aus einem Boot heraus eine Münze in einen See fällt, steigt dann der Wasserspiegel oder sinkt er? Solche kleinen Knobeleien präsentiert Heinrich Hemme, der an der FH Aachen hauptberuflich Physik lehrt, in diesem Buch. Insgesamt 100 Rätsel gilt es zu lösen. Kann man eines nicht knacken, blättert man in den hinteren Buchteil, wo die Lösungen und ihre Erklärungen zu finden sind.
Der Autor bemüht sich, jedes Rätsel in eine kleine Geschichte zu packen. Das Missgeschick mit der Münze passiert also einem Johnny, der mit einem knallroten Schlauchboot über einen See fährt. In diesem und den meisten anderen Fällen kommt es auf die ausschmückenden Details aber nicht an, sie sollen nur zum Schmökern verführen. Hemme will sein Werk auf diese Weise von Physiklehrbüchern abheben, die oft gähnend langweilig seien.
Natürlich gibt es schon viele ähnliche Werke, und man fragt sich, was einen zum Kauf dieses Bands animieren soll. Die Aufmachung ist es sicherlich nicht, denn er erweist sich als etwas lieblos gestaltet. Die Skizzen, die zu manchen Aufgaben gehören, sind häufig auf das Wesentliche reduziert und erinnern so doch wieder an ein Physiklehrbuch. Farbige oder gar hübsche Illustrationen fehlen durchweg. Viele Rätsel erscheinen auch einfach nur in knapper Textform.
Gewürfelter Widerstand
Wer sich trotzdem, vielleicht des günstigen Preises wegen, für den Band entscheidet, wird möglicherweise abermals enttäuscht, denn viele Rätsel sind alte Hüte. Zum Beispiel die Frage, in welche Richtung man in einem strömenden Fluss schwimmen muss, um auf schnellstem Weg zum Ufer zu gelangen. Andere Aufgaben hingegen sind durchaus auch in universitären Physiklehrbüchern zu finden, etwa der Widerstandswürfel: Zwölf gleiche elektrische Widerstände bilden die Kanten eines Würfels. Wie groß ist der Widerstand des Gebildes von einer Ecke zur diagonal gegenüberliegenden?
Interessant sind natürlich jene Fälle, in denen man durch Nachdenken eine elegante Lösung finden kann. Im Fall des Widerstandswürfels gibt es tatsächlich einen solchen Kniff. Aber für die Garnrolle unter dem Sofa gilt das nicht: Hier muss man über Kräfte und Drehachsen nachdenken. Wieder andere Kopfnüsse verdienen den Namen nicht, da man unbedingt Stift und Papier zu ihrer Lösung benötigt und mit reinem Nachdenken keine Chance hat, was der Intention des Werks widerspricht. Wer möchte schon ein Buch am Schreibtisch lesen?
Und dann gibt es noch Rätsel, die absichtlich zu täuschen versuchen. Wann beispielsweise erreicht ein Boot, das sich »mit konstant einem Knoten pro Stunde aufmacht«, einen 450 Seemeilen entfernten Hafen? Hier sollen die Rätselnden erkennen, dass ein Knoten pro Stunde eine Beschleunigungs- und keine Geschwindigkeitsangabe ist. Eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung ist für eine Seefahrt aber natürlich vollkommen unrealistisch. Außerdem versucht der Text dadurch abzulenken, dass die Abfahrt »am vorletzten Februartag des Jahres 2000« erfolgen soll – man also erst einmal prüfen muss, ob das Jahr 2000 ein Schaltjahr war. Unterm Strich ist das eine etwas doofe Knobelei, die keinen Scharfsinn, sondern Aufmerksamkeit erfordert.
Hemmes Buch wird sicher nicht jene erreichen, die Physik bereits in der Schule vermieden haben. Aber es gibt natürlich Leser und Leserinnen, die für entsprechende Rätsel schwärmen und denen Aufmachung und Ausschmückung egal sind. Auch wenn sich viele Kopfnüsse als betagt erweisen, ein paar neue dürften für jeden dabei sein. Bei einem Preis von fünf Cent pro Knobelei gibt es keinen wirklich guten Grund, Interessierten vom Kauf abzuraten.
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