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Entscheidender historischer Umbruch?

War das 6. vorchristliche Jahrhundert eine epochale Wende in der Menschheitsgeschichte?

Es mutet den meisten Menschen – auch Nichtgläubigen – selbstverständlich an, die geschichtliche Zeitrechnung auf Christi Geburt zu beziehen und in ein »Davor« und »Danach« zu unterteilen. Dass das eine rein willkürliche Konvention ist, machen sich die Wenigsten bewusst. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Geschichtsphilosophen damit begonnen, sich intensiv mit solchen Konstruktionen auseinanderzusetzen und sie als »abhängige Variable kultureller, besonders religiöser Grundeinstellungen« kritisch zu betrachten.

Damit zusammen hängt das Konzept der so genannten Achsenzeit, das der Philosoph Karl Jaspers (1883-1969) in seinem Buch »Vom Ursprung und Ziel der Geschichte« (1949) vorstellte. Demnach entstanden um 500 v. Chr. an den verschiedensten Orten der Welt wichtige Denkschulen: in China die Lehren des Konfuzius und Laotse; in Mittelasien jene des Zarathustra; in Indien der Buddhismus; in Griechenland die Umweltbeschreibung der Naturphilosophen, die den Grundstein der heutigen Wissenschaften legte. Diese »kognitiven Zündungen« deutete Jaspers als entscheidenden historischen Umbruch, der jene Achse sei, an der sich eine globale Menschheitsgeschichte orientieren solle. Diese Sichtweise bedeutete einen radikalen Bruch mit der gewohnten christlich-westlichen Deutungshoheit.

Entdeckung östlicher Philosophien

Jan Assmann widmet diesem geschichtsphilosophischen Ansatz sein gleichnamiges Buch. Der emeritierte Professor hat sich vor allem als Ägyptologe und Kulturwissenschaftler einen Namen gemacht. Gemeinsam mit seiner Frau Aleida Assmann hat er die Theorie vom kulturellen Gedächtnis entwickelt, das das Gemeinschaftsgefühl und Weltbild der Menschen forme. Für ihre Arbeiten zur Erinnerungskultur erhielt das Ehepaar im vergangenen Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.

Assmann war bereits als Schüler von Jaspers Abhandlung fasziniert, die ihn auch bei seiner späteren Arbeit stark beeinflusste, wie er in der Einleitung schreibt. Ausführlich stellt der Autor die Wurzeln des Achsenzeit-Konzepts vor, die bis in die Anfänge der Sprach- und Kulturwissenschaften im 18. und 19. Jahrhundert reichen. Damals entdeckten Abraham-Hyacinthe Anquetil-Duperron und Jean-Pierre Rémusat als erste europäische Wissenschaftler die Philosophien Zarathustras und Laotses, die sie und spätere Altertumsforscher mit historisch bekannten Denkschulen verglichen, beispielsweise mit jenen Griechenlands und Ägyptens. Einige erkannten dabei frappante Ähnlichkeiten und schlossen auf einen großen Einfluss östlicher Philosophien auf die europäische Kultur. Andere hingegen, wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel, betonten eine überlegene Kulturentwicklung Europas, ganz im Zeitgeist des Kolonialismus.

Beide Perspektiven behandelt Assmann in seinem Buch. In jeweils eigenen Kapiteln stellt er die verschiedenen Vordenker chronologisch sortiert vor. Dabei schafft er es, seinen Lesern einen guten Einblick in die geschichtsphilosophischen Strömungen vom späten 18. Jahrhundert bis in die Nachkriegszeit zu gewähren, die zur Herausbildung des Achsenzeit-Konzepts führten. Zudem erörtert der Autor, wie dieses Konzept in der heutigen Wissenschaft nachwirkt.

Das Werk ist historisch recht tiefgängig und arbeitet mit philosophischen Querverweisen, die den Lesern ein gewisses Maß an Vorbildung abfordern. Zudem behindern die vielen Originalzitate den Lesefluss. Insgesamt jedoch erscheinen die Inhalte sehr übersichtlich und gut strukturiert sowie fundiert dargestellt. Das Buch stellt sicherlich keine leichte Lektüre dar, ist aber dennoch äußerst lesenswert, denn es lädt dazu ein, das gewohnte Geschichtsverständnis kritisch zu hinterfragen. Es lässt sich vor allem historisch und philosophisch interessierten Laien empfehlen, aber auch Fachleuten und Studierenden der archäologischen Disziplinen, in deren Ausbildung solche geschichtsphilosophischen Betrachtungen oft nur wenig Platz finden.

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