Mit Kind und ohne Partner
In Deutschland sind rund 20 Prozent der Eltern alleinerziehend – Tendenz steigend. Viele von ihnen sind psychisch und finanziell besonders belastet. Matthias Franz, Professor für psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Düsseldorf, hat einen Ratgeber für die überwiegend weiblichen Betroffenen verfasst.
Zu Beginn widerspricht er dem Idealbild der alleinerziehenden Super-Mama, die neben Vollzeitjob, Kita und Hausaufgaben auch noch Zeit für sich selbst findet. Die Realität ist eine andere, wie der Autor verdeutlicht: Unterhaltszahlungen der Ex-Partner lassen auf sich warten, 40 Prozent der Betroffenen sind auf Hartz IV angewiesen und die meisten mit ihrem Leben unzufrieden. Alleinerziehende begehen im Vergleich zu Verheirateten häufiger Suizid und leiden eher unter chronischen Erkrankungen wie Migräne.
Orientierungsfigur Vater
Anschließend erklärt Franz, dass Kinder im Laufe ihrer emotionalen Entwicklung erst lernen müssten, angemessen mit ihren Gefühlen umzugehen. Damit das gelingen könne, sollten Eltern ihrem Nachwuchs gegenüber aufmerksam sein und angemessen auf dessen Empfindungen eingehen. Eine sichere Bindung in der Kindheit sei entscheidend, damit der Heranwachsende seine Umgebung erkunden und wichtige Lernprozesse durchlaufen kann. Franz erwähnt zwar, dass ein Kind durchaus zu einem Elternteil sicher, zum anderen unsicher gebunden sein kann, betont jedoch mehrmals, wie wichtig (gerade für Jungen) eine enge Beziehung zum Vater sei. Er rät Alleinerziehenden daher, Konflikte mit dem früheren Partner zum Wohl des Kindes zurückzustellen.
Typischerweise durchlaufe man bei einer Trennung verschiedene Phasen. Helfen könne, sich Zeit zu lassen, sich selbst wertzuschätzen und darüber nachzudenken, inwiefern Erfahrungen mit dem eigenen Vater die Partnerwahl beeinflusst hätten. Danach erklärt der Autor anhand verschiedener Fallgeschichten, was Alleinerziehende in der entsprechenden Situation besser hätten machen können.
Praktische Übungen aus dem "wir2-Bindungstraining", das der Autor mitentwickelt hat, ergänzen den theoretischen Teil, beispielsweise ein "Gefühlsthermometer", mit dessen Hilfe man seine Gefühle des Tages Revue passieren lassen und sich bewusst machen kann. Auch findet man eine Anleitung zu einem Brief an den eigenen Vater oder eine Geschichte für Kinder, die eine Trennung von einem geliebten Menschen verarbeiten müssen.
Der Autor appelliert, sich bei Schwierigkeiten vertrauensvoll an einen Psychotherapeuten zu wenden. Hierfür umreißt er die unterschiedlichen Therapieschulen, was ihm allerdings nicht immer gut gelingt, und nennt Anlaufstellen.
Das Buch besticht, indem es die enorme Verantwortung von Alleinerziehenden und die großen Anforderungen an sie benennt. Gleichzeitig möchte der Autor für die kindliche Entwicklung sensibilisieren. In fast jedem Kapitel betont er, dass besonders Jungen darunter leiden, wenn ein männliches Vorbild fehlt. Sonst könnten sie "keinen konstruktiven Umgang mit aggressiven Impulsen" lernen. Solche Aussagen könnten bei Müttern, denen ein enger Kontakt mit dem Vater des Kindes nicht möglich ist, die Sorge verstärken, dem Nachwuchs allein nicht gerecht zu werden. Auf welche Erkenntnisse sich Franz dabei beruft, wird nicht klar. Trotzdem kann das Buch Alleinerziehenden Orientierung für die tagtäglichen Herausforderungen geben.
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