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Gesellschaft der Gelangweilten

Es gibt praktisch keine Kultur mehr, meint der peruanische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger 2010, Mario Vargas Llosa ("Das Fest des Ziegenbocks", "Das böse Mädchen"). Sein Werk "Alles Boulevard" ist eine Sammlung kulturkritischer Aufsätze, die er zwischen 1997 und 2011 in der spanischen Zeitung "El País" veröffentlichte.

Für Llosa ist das, was früher einmal Kultur war, heute nichts weiter als Spektakel, ein Mittel zum Zeitvertreib und zur Unterhaltung. "Eine Kultur, die nach dem geringsten Aufwand strebt", so sein abschätziges Resümee. Bücher müssten leichte Kost sein, an einen Tolstoi etwa trauten sich nur noch die wenigsten heran. Und dieser Nachfrage kämen die Schriftsteller folgsam nach, indem sie zu Papier brächten, was flüchtige Unterhaltung verspreche und Tiefgehendes vermeide. Verstand und Empfinden der Leser würden allmählich abstumpfen.

Erschrecken um jeden Preis

Künstlern und Journalisten ginge es in erster Linie darum, zu schockieren, schreibt Llosa. Eine Ausstellung in England begeistert die Massen mit Objekten aus Elefantenkot; Künstler üben sich im Hitlergruß auf der Bühne, um in die Zeitung zu kommen; der Sensationsjournalismus produziert immer neue Weltuntergangsgeschichten und zieht die Aufmerksamkeit des Publikums von gut recherchierten und intellektuell anspruchsvollen Artikeln ab.

Früher habe die Kultur dazu beigetragen, den Horizont der Menschen zu erweitern und sie auf existenzielle Fragen aufmerksam zu machen, schreibt der Autor. Sie habe politische oder gesellschaftliche Probleme aufgegriffen, kreativ verarbeitet und so die Wirklichkeit erträglicher gemacht. Heute hingegen dienten Bücher, Konzerte oder Ausstellungen dem bloßen Zeitvertreib oder dem Versuch, der Realität aus welchen Gründen auch immer zu entfliehen. Zu einem ähnlichen Zweck würden Drogen wie Koks oder Marihuana konsumiert.

Llosa befasst sich auch mit aktuellen kulturpolitischen Streitthemen wie dem Kopftuchverbot in französischen Schulen. Dabei besticht er mit überraschender Genauigkeit, gut durchdachten Argumenten und Schlagfertigkeit. Er wägt er das Für und Wider der verschiedenen Argumente ab, bezieht aber immer klar Stellung.

Unterhaltsam wider Willen

Mancher Leser wird dem Verfasser wohl in einigen Punkten widersprechen. Doch regt die Lektüre immer zum Nachdenken an. Über den Aktivisten Julian Assange etwa, der interne Informationen über amerikanische Geheimdienste an die Öffentlichkeit brachte, schreibt Llosa: "Herr Assange ist kein großer Freiheitskämpfer, er ist ein erfolgreicher Entertainer, eine Art Oprah Winfrey der Information." Für ihn ist die Enthüllungsplattform WikiLeaks nur ein weiteres Symptom des Sensationsdurstes unserer heutigen Kultur.

Mario Vargas Llosa schreibt intelligent, wortgewandt und humorvoll. Wenn er sich etwa zum geplanten Selbstbefriedigungsunterricht in der spanischen Region Extremadura äußert, kann man beim Lesen kaum ein Schmunzeln unterdrücken: "Die Neugier marterte mein Hirn: Ob es Noten gibt? Werden Prüfungen abgelegt? Sind die Kurse theoretischer oder auch praktischer Natur?"

Mit "Alles Boulevard" ist dem Autor eine kritische Schriftsammlung gelungen, die man nach dem Lesen nicht so schnell wieder vergisst. Mit seinem frischen Stil ist das Werk durchweg spannend und – Llosa verzeihe diese Bewertung – sehr unterhaltsam.

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