Plauderei über fast alles
Der Baum an Wissen der Naturwissenschaften ist in den letzten 100 Jahren mächtig gewachsen und inzwischen unvorstellbar fein verästelt. Es ist unmöglich geworden, diesen gleichzeitig komplett zu überblicken und im Detail zu kennen. Universalforscher wie etwa Alexander von Humboldt (1769-1859) gibt es heute deshalb nicht mehr. Aber es lohnt sich, den Baum aus der Ferne zu betrachten, um die großen Äste zu erkennen – also wie die verschiedenen Disziplinen miteinander zusammenhängen. Das mag sich auch die britische Autorin Ella Frances Sanders gedacht haben. In den 51 kurzweiligen Kapiteln ihres Buchs beleuchtet sie den Wissensbaum aus verschiedenen Perspektiven. Das tut sie nicht systematisch einführend, sondern in Form eines bewusst unvorhersehbaren Textes, der die Leser immer wieder erstaunen will.
Die Sonne in uns
Der Titel des Buchs ist zugleich der des ersten Kapitels: Der Großteil der Materie um uns herum ist bereits einmal in einem Stern gewesen, der vor der Sonne entstanden und vergangen ist. Denn schwere Atome wie etwa Magnesium oder Eisen können nach derzeitigem Kenntnisstand nur im Inneren von Sternen entstehen. Der Schluss daraus ist unausweichlich: Das Sonnensystem und damit die Erde und wir selbst bestehen aus recyceltem Material, ganz wie 2007 das Duo »Ich und Ich« das in seinem Hit »Wir sind vom selben Stern« besungen hat.
Auch das zweite Kapitel stellt uns in einen kosmischen Zusammenhang: Die Energie, die wir mit dem Essen zu uns nehmen, ist demnach Strahlungsenergie der Sonne. Natürlich nicht direkt, aber über den Umweg der Fotosynthese fangen Pflanzen diese Energie ein, die uns schließlich über die Nahrungskette erreicht. Andere Kapitel berichten über die Form der Erde, über Wolken, Korallen, Radioaktivität und vieles mehr. Es sind stets kleine, gut verdaubare Wissenshäppchen. Zu Beginn eines Abschnitts versucht Sanders ihre Leser häufig mit einer erstaunlichen Tatsache zu ködern. So nennt sie das Kapitel über die Form unseres Planeten »Fünfmal zu Fuß um die Erde« – das ist etwa die Distanz, die ein Mensch im Lauf seines Lebens zu Fuß zurücklegt.
Naturwissenschaftlich Vorgebildete werden sich bei der Lektüre vermutlich oft langweilen. Viele der vorgestellten Zusammenhänge dürften ihnen hinlänglich bekannt sein, und die Erklärungen sind sehr knapp gehalten. Leser ohne Vorkenntnisse wiederum könnten genau davon profitieren, zumal die Auswahl und das Spektrum der Themen gut gelungen sind.
Das Büchlein ist im Plauderton verfasst, so dass es sich sehr leicht liest; allerdings geht Sanders dabei mitunter etwas zu weit. An manchen Stellen wirkt der Text wie der Monolog eines betrunkenen Naturwissenschaftlers, der ohne Unterlass auf sein Gegenüber einredet und dabei ständig neue Fakten anführt, die unsortiert aus ihm heraussprudeln. Jede einzelne Tatsache ist für sich genommen interessant, wird aber jeweils nur sehr kurz angerissen, und häufig findet man sich als Leser unverhofft auf einem ganz anderen Ast des Wissensbaums wieder. Gut eignet sich das Werk hingegen, um Gesprächsstoff für den Smalltalk auf der nächsten Party zu sammeln.
Sanders schafft es letztlich nicht, den Wissensbaum in seiner Gesamtheit zu zeigen. Aber vielleicht war das auch gar nicht ihr Anspruch. Auf jeden Fall demonstriert sie in sehr unterhaltsamer Form, wie reich an Erstaunlichem unsere Welt ist.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben