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»Alles überall auf einmal«: An der Schwelle eines neuen Zeitalters

Was künstliche Intelligenz leisten könnte und wo sie unbedingt eingehegt und kontrolliert werden sollte, erläutern Miriam Meckel und Léa Steinacker.

Spätestens seit der Chatbot ChatGPT im November 2022 veröffentlicht wurde, ist künstliche Intelligenz für alle mit Zugang zum Internet verfügbar. In »Alles überall auf einmal« werfen Miriam Meckel und Léa Steinacker einen Blick auf die Entwicklungen, Chancen und Risiken im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz. Als Gründerinnen eines Coaching-Unternehmens für die Vermittlung von Zukunftskompetenzen sind die Professorin für Kommunikationsmanagement Meckel und die promovierte Sozialwissenschaftlerin Steinacker Expertinnen für dieses Thema. Ihrem lockeren, leicht verständlichen Schreibstil merkt man zudem an, dass beide auch als Journalistinnen gearbeitet haben.

Den Titel des Buches haben die Autorinnen der gleichnamigen Sciencefiction-Komödie entliehen –, die sich jedoch nicht um künstliche Intelligenz, sondern um multiple Paralleluniversen dreht. In der Einleitung versuchen Meckel und Steinacker, Analogien zwischen den Inhalten des Films und künstlicher Intelligenz aufzuzeigen, was allerdings in weiten Teilen eher bemüht wirkt. Auch weitere Referenzen zu Popkultur und Literatur, die sich im Verlauf des Buchs finden, sind teils nur durch lose Assoziationen mit dem eigentlichen Thema verknüpft und tragen wenig dazu bei, die angesprochenen Aspekte zu verdeutlichen.

Die Geschichte künstlicher Intelligenz

Hilfreich und aufschlussreich sind dagegen die Ausführungen zur Geschichte der künstlichen Intelligenz. Der Blick auf Meilensteine ihrer Entwicklung ermöglicht es, die einzelnen Schritte und damit die Grundlagen der Funktionsweise heutiger KI-Anwendungen nachzuvollziehen. Zudem lernt die Leserschaft zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten kennen, die ihren Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet haben – angefangen bei Ada Lovelace, die 1843 visionäre Gedanken zur Zusammenarbeit von Mensch und Maschine festhielt, über Alan Turing, den Entwickler des berühmten Turing-Tests, und Joseph Weizenbaum, den Schöpfer des ersten Chatbots ELIZA, bis hin zur zeitgenössischen Informatikerin Fei-Fei Li, die entscheidende Grundlagen für die Bilderkennung durch künstliche Intelligenzen gelegt hat.

Das Werk widmet sich einem breiten Spektrum an Themen rund um künstliche Intelligenz: Welche sozialen Auswirkungen wird die Ausbreitung »intelligenter« Maschinen haben? Ermöglichen Sprach-KIs mehr Teilhabe, weil sie es auch Personen mit niedrigem Bildungsstand erlauben, sich professionell auszudrücken? Rückt dank KI ein bedingungsloses Grundeinkommen in greifbare Nähe? Oder beschleunigt die neue Technologie lediglich den Machtzuwachs der großen Techkonzerne und treibt kapitalistische Konzentrationsprozesse voran? Zu Prognosen, welches dieser Szenarien denn wahrscheinlicher ist, lassen sich Meckel und Steinacker nicht hinreißen. Stattdessen führen sie verschiedene Einflussfaktoren auf, welche die Entwicklung in die eine oder andere Richtung begünstigen könnten. Dabei wird deutlich: Jetzt ist die Zeit, in der die Weichen gestellt werden, ob KI zukünftig uns allen dient oder auf Kosten der Allgemeinheit den Einfluss und Reichtum weniger vermehrt.

Ausführlich werden auch Probleme generativer KIs thematisiert. So neigen ChatGPT und Co. bislang zum Halluzinieren: Sie geben eine überzeugend klingende Antwort, die allerdings teils frei erfunden ist. Auch absichtliche Falschinformationen lassen sich mit künstlicher Intelligenz problemlos generieren und verbreiten. Dabei wirft die Technologie ein neues Licht auf unser Verständnis von Glaubwürdigkeit und Wahrheit. Galten beispielsweise Fotos bislang üblicherweise als weitgehend zuverlässiger Beweis, lassen sie sich heute einfacher denn je manipulieren oder vollständig künstlich erzeugen.

Ein weiteres Problem: Die KI ist nur so gut wie ihre Trainingsdaten. Wie die Autorinnen anhand von eigenen Experimenten verdeutlichen, führt das dazu, dass viele Chatbots und Bildgeneratoren menschliche Vorurteile reproduzieren und dabei »People of Color«, Frauen, Muslime und zahlreiche weitere Gruppen diskriminieren. Hinzu kommt die hohe Umweltbelastung durch den Rohstoff- und Energieverbrauch der Server und Grafikkarten, die als Hardware allen KI-Anwendungen zugrunde liegen.

Wie sich all das auf die Demokratie und die Welt im Allgemeinen auswirken wird, ist bislang unklar – und liegt nicht nur in den Händen großer Konzerne, sondern auch denen staatlicher Regulierungsbehörden. Eindringlich weisen die Autorinnen darauf hin, dass klare Regeln für den Umgang mit KI aus ihrer Sicht unverzichtbar sind. Ein eigenes Kapitel widmen sie daher bisherigen Regulierungsansätzen in Europa, den USA und China.

Das Buch endet mit einer Utopie und einer Dystopie für unsere Zukunft mit künstlicher Intelligenz. Dabei lautet die Kernthese der Autorinnen: »Jenseits von Untergangsszenarien und Techno-Utopien muss es stets darum gehen, den Menschen durch Künstliche Intelligenz zu unterstützen, zu bestärken und besser zu machen, nicht aber sukzessive durch KI zu ersetzen.« Ihr Buch bietet einen gelungenen Überblick über die vielen Facetten, die es dabei zu bedenken gilt. Damit ermöglicht es gerade Menschen, die neu in das Thema einsteigen, sich eine differenzierte Meinung zu bilden. Wer sich allerdings schon viel mit den Möglichkeiten und Gefahren der KI auseinandergesetzt hat, wird in weiten Teilen den Tiefgang vermissen.

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