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Spielball der Elemente

Wetterphänomene und Krankheitserreger beeinflussten den Lauf der Geschichte oft stärker als menschliches Handeln.

»Langfristig bestimmt die Natur die Geschichte und jeder, der das bestreitet, darf wahlweise als Narr oder Hasardeur bezeichnet werden.« Mit diesem Satz beschließt Sebastian Jutzi seine Sammlung geschichtsträchtiger Ereignisse, auf deren Ausgang die Natur – in der Regel Wetterphänomene oder Krankheitserreger – einen wesentlichen Einfluss hatte. Der studierte Biologe leitet nach mehreren Stationen bei Zeitschriften und dem ZDF die Wissenschaftsredaktion des Paul-Scherrer-Instituts, des größten schweizerischen Forschungszentrums für Natur- und Ingenieurwissenschaften.

Jutzis Buch schildert 53 geschichtliche Episoden und legt den Schwerpunkt dabei auf Naturkatastrophen sowie technische Erfindungen, denen eine Naturbeobachtung zu Grunde lag. Insgesamt umspannt es den gesamten Zeitraum der Geschichtsschreibung – vom Reich der alten Ägypter über Hannibals Alpenüberquerung bis zum Elbehochwasser im Jahr 2002, das zum Wahlsieg des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder beitrug. Verbunden sind all diese Begebenheiten nur dadurch, dass hier die Natur, in welcher Erscheinungsform auch immer, den Lauf der Weltgeschichte prägte.

Königstod im Nebel

Der Autor behandelt unterschiedliche Wetterphänomene wie Starkregen, Überschwemmungen, Nebel, Vulkanausbrüche, Tiefsttemperaturen und besondere Windverhältnisse. Auch befasst er sich mit Infektionskrankheiten von Tieren (einschließlich des Menschen) und Pflanzen – beispielsweise der durch den Pilz Phythophtora infestans verursachten Kartoffelfäule, der Pest oder der verheerenden Gelbfieberepidemie, die Napoleons Truppen in der Karibik derart schwächte, dass sich das heutige Haiti aus der französischen Abhängigkeit befreien konnte. Oft wurden Naturphänomene dem Menschen zum Verhängnis: So verirrte sich der schwedische König Gustav Adolf während einer Schlacht des Dreißigjährigen Kriegs im Nebel, was ihn das Leben kostete, und der spanische Admiral Alonso Pérez de Guzmán verlor 1588 den Großteil der spanischen Flotte gegen die Engländer, weil die Windverhältnisse seinen Gegnern Vorteile verschafften.

Andere Geschichten thematisieren bedeutende Entdeckungen wie den Klettverschluss; der schweizerische Erfinder Georges de Mestral hatte hierfür die Fruchtkörper einer Klette als Vorbild genommen, die sich im Fell seines Hundes verfangen hatten. Ein Hund inspirierte auch den amerikanischen Tüftler Francis Appleby dazu, eine Apparatur zu bauen, mit der sich Getreidehalme automatisiert zu einer Garbe binden ließen, was die Industrialisierung der Landwirtschaft vorantrieb. Noch weiter fasst der Autor die Rolle der Natur in jenen Geschichten, in denen es um die Entdeckung von Naturgesetzen geht oder um die Bedeutung allgegenwärtiger Verbindungen wie Wasser oder Gase. So fanden die erste Fahrt eines Heißluftballons und die Explosion des Luftschiffs »Hindenburg« Eingang in das Buch, wobei der Part der Natur von heißer Luft beziehungsweise Wasserstoffgas übernommen wurde. Möglicherweise wäre hier eine thematische Gliederung in übergeordnete Kapitel von Vorteil gewesen.

Die Fülle an Geschichten ist gleichzeitig Stärke und Schwäche des Buchs. Einerseits macht das breite Spektrum unterschiedlicher Themen die Lektüre abwechslungsreich und kurzweilig. Andererseits kann das Aneinanderreihen von immer neuen, thematisch und zeitlich nicht geordneten Anekdoten auf Dauer ermüden. Oft reißt Jutzi ein Thema recht oberflächlich auf nur zwei bis drei Seiten an, obwohl man sich als Leser(in) mehr Hintergrundinformation gewünscht hätte. Auch Spannung hätte sich bei einer etwas gründlicheren Abhandlung vielfach besser aufbauen lassen. Hinter etlichen Geschichten stecken interessante naturwissenschaftliche Zusammenhänge sowie menschliche Schicksale, die eine eingehendere Behandlung verdienen. Auch wenn das Buch viele aufschlussreiche und überraschende Details zusammenträgt, bleibt am Ende der Eindruck, dass hier weniger (Geschichten) durchaus mehr (Lesegenuss) hätte sein können.

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