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»Anbruch der neuen Zeit«: Kolumbus, Luther und neue Global Player

Das 16. Jahrhundert war für Europas Entwicklung prägender, als es viele Historiker bisher angenommen haben. Das zeigt Marina Münkler.

Wer im Internet nach den Eckdaten des 16. Jahrhunderts sucht, erfährt meist: Es begann am 1. Januar 1501 und dauerte bis zum 31. Dezember 1600, gelegentlich werden auch die Jahre 1500 und 1599 angegeben. Historikerinnen wie Marina Münkler geht es freilich nicht um willkürliche Datumsgrenzen, sondern um inhaltliche Verbindungen. Was unterschied das 16. Jahrhundert von dem vorhergehenden und dem nachfolgenden? Bei dieser Frage orientiert sie sich nicht an »Gipfelwerken der Kunst, Literatur oder des politischen Denkens«. Münkler, die mittelalterliche und frühneuzeitliche deutsche Literatur und Kultur an der Technischen Universität Dresden lehrt, interessiert sich für grundlegende Konfliktlinien.

Und die reichen über die üblichen Datumsgrenzen hinweg; Münkler spricht von einem »langen 16. Jahrhundert«, dessen Beginn sich ebenso an der Entdeckung Amerikas 1492 wie an der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 verankern lässt. Was das Ende angeht, bleibt die Autorin vage, um der Reformation und den Religionskriegen ab 1618 nicht zu viel Gewicht beizumessen.

Münkler nutzt Übersichtskapitel, um große Linien aufzuzeigen, danach taucht sie in die Tiefe der Geschichte ein, lässt Originalquellen sprechen und untersucht einzelne Aspekte genauer – was oft zu überraschenden Einsichten führt. Wie konnte eigentlich Portugal, eines der ärmsten Länder Europas, zum Global Player werden? Zwar hatte es den Atlantik vor der Haustür, aber das für den Seehandel wichtige Mittelmeer wurde damals von Genuesen und Venezianern kontrolliert.

Portugals Aufstieg verdankte sich der Weitsicht seines Kronprinzen Heinrich des Seefahrers und seiner Nachfolger. In Übereinkunft mit dem Papst ließen sie die afrikanische Westküste Stück für Stück erkunden und dort Handelsstützpunkte errichten. Das spülte nicht nur reichlich Geld in die Staatskasse, sämtliche Informationen zum Küstenverlauf, zu den Verhältnissen an Land und potenziellen Handelsgütern wurden im Zuge dessen gut dokumentiert. 1487 erreichten portugiesische Seefahrer dank dieser Strategie die Südspitze Afrikas. Damit war das Fernziel – der Weg nach Indien mit seinen wertvollen Handelsgütern – greifbarer geworden, auch wenn es noch weitere zehn Jahre dauern sollte, bis Vasco da Gama den Subkontinent erreichte.

Für Christoph Kolumbus bedeutete die gelungene Umseglung Afrikas ein Desaster. Es war ihm schon fast gelungen, den portugiesischen König davon zu überzeugen, ihn über eine Westroute in Richtung Indien zu schicken. Das war nicht seine eigene Idee gewesen, wie Münkler weiß, sondern die eines Florentiner Astronomen – doch Portugals Hofmathematiker hatten dessen Berechnungen des Erdumfangs für falsch erklärt. Allerdings wollte Kolumbus gar nicht nach Indien selbst, sondern lediglich zu den 7000 seiner Küste vorgelagerten Inseln, von denen der Venezianer Marco Polo berichtet hatte. Insbesondere eine Insel namens Cipangu schien alle Mühen wert, waren dort doch laut Polo sogar die Dächer mit Gold gedeckt. Aber die Umseglung Afrikas machte Kolumbus‘ Pläne aus portugiesischer Sicht obsolet.

Reformation und Weltpolitik

Dafür schenkte ihm der spanische Hof Gehör; mit den bekannten Folgen einer gnadenlosen Eroberung und Ausbeutung Amerikas. Für die heidnischen Bewohner der Überseekolonien galten die Mindeststandards einer humanen Behandlung nicht, die Christen in Europa zumindest theoretisch selbst im Kriegsfall für sich beanspruchen konnten. Während Portugal und das habsburgisch regierte Spanien zu Global Playern aufstiegen, deren Machtzuwachs etwa vom französischen Königshaus argwöhnisch beobachtet wurde, entstand im Osten Europas ein allen gemeinsamer Feind.

1453 erschütterte der Fall Konstantinopels die Christenheit. Das Osmanische Reich stand mit einem Fuß in Europa. Bald sprach man allenthalben von der »Türkengefahr«. Der Papst rief zum Kreuzzug auf, der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs schloss sich an. Rom gab einen Ablassbrief heraus, um das Unternehmen mitzufinanzieren. Dichter und Denker konnten dank des erst seit Kurzem verfügbaren Buchdrucks das Bild einer geschändeten Kirche verbreiten. Laut Marina Münkler avancierten die Kriegszüge der Osmanen zum ersten großen Medienereignis.

Allerdings offenbaren Berichte von Personen, die in Gefangenschaft geraten waren und als Sklaven gehalten wurden, dass es sich im Osmanischen Reich nicht schlecht leben ließ. Selbst Sultane folgten einem Ethos, das zum schlichten Leben verpflichtete, es gab keine Hetzjagden auf Häretiker. In osmanisch besetzten Gebieten konvertierten sogar nicht wenige Christen zum Islam. Ohnehin waren Kreuzzüge kein Erfolgsmodell, wie die Geschichte gelehrt hatte, und im Unterschied zu heute ließ der Medienrummel die Herrschenden kalt, sie verfolgten ihre partikulären Interessen. Immerhin verwandelte die Diskussion um die Türkengefahr den Begriff »Europa« laut der Autorin von einer rein geografischen Zuschreibung zu einem Idealbild, das ein antikes Erbe und christliche Werte vereinte. Werte, die Martin Luther vehement einforderte.

Die Einsicht, dass die Reformation ohne Kenntnis der großen machtpolitischen Strukturen nicht verstanden werden kann, gehört zu den großen Überraschungen des Buchs. Luther bestritt nicht nur die theologische Grundlage der Ablassbriefe, nämlich die Berechtigung des Vatikans, die Taten Jesu und der Heiligen wie einen Schatz zu verwalten und Anteile daran gegen bares Geld abzugeben, um so einen Sündenerlass zu erwirken. Luther betrachtete auch den Vormarsch der Türken als eine Strafe Gottes für die Sündhaftigkeit, die man als solche zu akzeptieren habe. Der Ablasshandel zur Finanzierung eines Kreuzzugs laufe mithin, so Luther, Gottes Absichten zuwider.

Das war starker Tobak, der die Christenheit erschütterte. Mit dem Aufstieg des Protestantismus zerbrach auch eine Rechtsordnung, die Krieg innerhalb der christlichen Sphäre als Ausnahme betrachtet hatte, über die nur Papst und Kaiser als höchste Instanzen entscheiden konnten. Diese Macht wurde ihnen nun endgültig genommen. Ein neues Zeitalter hatte begonnen.

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